Interview mit HfK-Student Tim Redlich
Fragen an HfK-Student Tim Redlich, der mit „Recursive Emergence“ die Entstehung von Leben erforschtTim, was hat dich an diesem Projekt gereizt?
Tim Redlich: Ich arbeite gerne mit meiner Kamera und habe diese schon häufig in Projekte eingebunden. Durch Experimente mit Video-Feedbackschleifen bin ich auf dieses emergente Phänomen gestoßen und wollte es weiter untersuchen.
Wie sehr ist deine Arbeit eher künstlerisch, experimentell oder gesellschaftlich gedacht?
Ich würde sagen, sie entstand eher experimentell. Aber durch die Untersuchung dieser Eigenschaften traten für mich einige interessante Ideen hervor. Es brachte mich zum Nachdenken über Konzepte wie Abiogenese, Selbstreplikation, die Entstehung von Bewusstsein, rekursive Muster in sozialen Dynamiken, sich selbst replizierende Computerprogramme, klimatische Feedbackschleifen, selbstreferentielle Paradoxien und den Ursprung von Schönheit.
Dies sind nur einige der Gedanken, die mir dazu kamen. Ich glaube, dass andere Personen womöglich ganz andere Einsichten haben. Ich wollte mich bei diesem Projekt nicht auf ein einzelnes Konzept oder eine einzelne Idee konzentrieren und vielmehr Raum für die Interpretation jedes Einzelnen lassen, der die entstehenden Strukturen selbst beobachtet und mit ihnen interagiert.
Welche Antwort gibst du auf deine Frage, ob Software dazu beitragen kann, einer gespaltenen Gesellschaft entgegenzuwirken?
Viele Online-Plattformen haben ihre Algorithmen optimiert, um möglichst viel unserer Aufmerksamkeit zu erlangen und uns regelrecht abhängig zu machen. Diese Algorithmen analysieren und lernen aus unserem Verhalten, um uns Inhalte zu präsentieren, die unseren Vorlieben entsprechen. Eine Folge davon ist, dass viele Nutzer in einer Art „Echo-Kammer“ oder Informationsblase enden. Eine Rückkopplungsschleife, in der sie nur noch mit Meinungen und Informationen konfrontiert werden, die ihre eigenen Ansichten widerspiegeln.
Ein Ansatz könnte sein, Software so zu gestalten, dass sie diesen Tendenzen entgegenarbeitet und Nutzer mit vielfältigeren Perspektiven konfrontiert. Jedoch birgt das auch Risiken: Nutzer könnten sich von Plattformen abwenden, die sie mit konträren Meinungen konfrontieren. Zusätzlich besteht die Herausforderung, eine Balance zu finden und dabei Desinformation, mediale Verzerrungen und falsche Gleichgewichtungen zu vermeiden. Es ist ein komplexes Problem, für das ich keine genaue Lösung kenne.
Was war deine größte Herausforderung bei dem Projekt?
Eine große Herausforderung war es, mich auf ein Design festzulegen, welches ich dann passend zu erhältlichen Teilen in 3-D modelliert habe. Mit der fertigen digitalen Vorlage konnte ich mich dann an diesen selbst gesetzten Einschränkungen orientieren und an Details arbeiten.
Besonders froh bin ich, dass es mir gelungen ist, die gesamte Elektronik in dem relativ kleinen Kasten rund um den HDMI-Splitter unterzubringen. Darin habe ich viel Zeit investiert.
Und deine größte Freude?
Das Experimentieren hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht. Es entstanden immer wieder neue fraktale Strukturen, die ich auf vielfältige Weise manipulierte. Und auch zu sehen, was andere in den entstehenden Mustern erkennen und wie sie diese interpretieren, war sehr interessant.
Welcher Aspekt ist dir noch wichtig?
Das Experimentieren mit Feedback-Schleifen hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie wir denken, uns unserer Existenz bewusstwerden und wie sich ein „Selbst“ bildet. Angesichts des Aufkommens immer komplexerer und leistungsfähigerer künstlicher Intelligenz in den letzten Jahren frage ich mich, wie wir jemals feststellen können, ob solche Systeme ein Bewusstsein besitzen oder einfach nur so handeln, als ob sie eines hätten.
Ich bin durch dieses Projekt auf den Kognitionswissenschaftler Douglas Hofstadter und sein Buch „I Am a Strange Loop“ gestoßen, in dem er über die Entstehung von Bewusstsein spricht. Hofstadter glaubt, dass wir nicht mit einem psychologischen Selbst geboren werden, sondern dass dieses allmählich entsteht. Unser „Ich“ bestätigt seine eigene Realität in einer rekursiven Schleife durch jede Interaktion mit der realen Welt. Es ist ein emergentes Phänomen, das sich durch all die Dinge, die uns im Laufe unseres Lebens geprägt haben, entsteht.
Besonders sein Kapitel über die Verflechtungen mehrerer „seltsamer Schleifen“ hat mich sehr an die sich überlappenden Rückkopplungsschleifen in meinem Projekt erinnert. Wir können die Welt durch die Kopien „seltsamer Schleifen“ anderer in unserem Kopf erleben. Und durch Interaktionen mit Anderen formen wir unsere eigene.