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Freitag | 10. Mai 2019

Professorin mit Steinkopf-Maske hinterfragt den Sinn von Künstler*innen-Identitäten

Deutscher Pavillon auf der 58. Kunstbiennale in Venedig eröffnet
© Jasper Kettner

HfK-Bremen-Professorin mit der Steinkopf-Maske hinterfragt den Sinn von Künstler*innen-Identitäten und zeigt kollektive Schaffensprozesse
Am Freitag, dem 10. Mai 2019 findet die feierliche Eröffnung des Deutschen Pavillons auf der Biennale di Venezia statt. Die HfK-Bremen-Professorin Natascha Sadr Haghighian ist mit der künstlerischen Bespielung des Deutschen Pavillons betraut. Für diese Aufgabe schuf sie eine Kunstfigur namens Natascha Süder Happelmann, stets mit einer Steinkopf-Maske unkenntlich gemacht, mit der sie bereits im Vorfeld für Furore sorgte und ihr Thema der Künstler*innen-Identität exponierte.

Einen Tag später startet am 11.Mai die weltweit größte Kunstausstellung unter dem Titel „May You Live In Interesting Times“ in ihre 58. Saison. Vom 11. Mai bis zum 24. November wird die globale Kunstwelt in die weltbekannte Lagunenstadt strömen.

Natascha Sadr Haghighian lehrt seit 2014 an der Hochschule für Künste Bremen als Professorin für Bildhauerei. Ihre oftmals politisch zugespitzten Arbeiten trugen ihr den Ruf ein, auch schwierigste Themen künstlerisch verarbeiten und gesellschaftlich aufrüttelnd darstellen zu können. In ihrer Begründung der Auswahl hob die Kuratorin des Deutschen Pavillons, Franciska Zólyom, die künstlerische Positionierung hervor, „die ästhetische und wissenschaftliche Konzepte, soziale oder politische Zustände nicht nur analysiert oder kommentiert, sondern diese auch aktiv verändert und ihr Rollenverständnis sowie ihre Handlungsweise für den jeweiligen Arbeitsprozess neu gründet“.

Die Happelmann-Berufung war eine große Überraschung. Die Kunstwelt hatte auf den Namen für die renommierte und deshalb auch Kunstmarkt relevante Berufung gewartet und konnte den Namen Happelmann erwartungsgemäß nicht einordnen. Das war gewollt und bereits Teil der Strategie für den Auftritt in Venedig selbst. Irritation ist das Konzept: Natascha Süder Happelmann alias Sadr Haghighian geht es um künstlerische Inhalte, um politische Aussagen, nicht um einzelne Personen. Schon gar nicht um ihre eigene. Als individuelle oder kollektive künstlerische Position – für den Deutschen Pavillon arbeitet sie mit sechs Musiker*innen / Komponist*innen zusammen – lässt sie immer wieder ihre Praxis in politische, gesellschaftliche Prozesse einfließen.

Die Medien griffen das Thema Künstler*innen-Identität auf. Zuletzt erwartete die SPIEGEL-Kulturredakteurin Ulrike Knöfel, dass Natascha Süder Happelmann das Publikum des Deutschen Pavillons auch in Venedig selbst überrumpeln werde, da sie sich erfolgreich den Konventionen entziehe: weg vom Künstler*innen-Ego hin zur kollektiven Intelligenz, weg vom traditionellen Ausstellungsformat hin zur musikalisch unterlegten Performance. Bei Süder Happelmann sei nichts sicher, da sie keine Erwartungen erfüllen wolle.

Prof. Eva Quante-Brandt, die für die HfK Bremen zuständige Senatorin der Hansestadt Bremen, freute sich schon bei den Hochschultagen über den Venedig-Auftritt: „Das ist eine riesige Ehre. Solche Beteiligungen von HfK-Angehörigen zeigen, dass die Qualität der Hochschule für Künste auf höchstem internationalen Niveau ist und wir uns in Bremen mit ihrer Förderung auf dem richtigen Weg befinden.“

Die HfK Bremen hat bereits im Vorfeld die Präsentation in Venedig begleitet: In der Vortragsreihe Freie Kunst war Franciska Zólyom, die Kuratorin des Deutschen Pavillons, im Dezember 2018 an der HfK Bremen zu Gast. Die Kuratorin berichtete über das künstlerische Konzept und ihre Beweggründe für die Berufung der HfK-Professorin. Unter dem Titel „Don’t Call Me Names“ problematisierte Zólyom die Wirkung von Künstler*innen-Identitäten auf die Wahrnehmung der Arbeiten und der Künstler*innen selbst. Die Wirkmacht von Sprache ist weitreichend: Begriffe, Bezeichnungen und Namen dienen der eindeutigen Zuordnung und schreiben Identitäten als etwas Fixierendes fest. Franciska Zólyom: „Sie grenzen Daseinsformen, Orte und Personen voneinander ab. An den Grenzen, die sie ziehen, entstehen zum Teil gewaltsame Konflikte. Jenseits von Gleichheit und Gleichberechtigung naturalisieren sie Zustände, nehmen Statuszuweisungen vor und schaffen Lebenswirklichkeiten – und je nachdem, wer sie verwendet, reproduzieren oder verfestigen sie diese.“

Die HfK Bremen nimmt die Biennale-Teilnahme ihrer Professorin zum Anlass, vor Ort eine Summer School abzuhalten. „Beyond Repair“ findet vom 12. bis 28. Juni statt und gibt drei Studierenden-Gruppen die Gelegenheit, zum Thema „Ruinöse Räume“ zu arbeiten. Den 60 HfK-Studierenden und Professor*innen aus den Bereichen Kunst und Design sowie Musik schließen sich weitere Gruppen von der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und der Università Iuav di Venezia an.

Das Programm der Summer School thematisiert am historischen Ort der jahrhundertealten Stadt Venedig die Vergänglichkeit. „Das Studienprogramm ‚Beyond Repair‘ hat drei Teile, die darauf angelegt sind, den historischen Kontext und den konzeptuellen Rahmen verschiedener ruinöser Räume und Konzepte zu untersuchen, Verbindungen und Resonanzen zwischen ihnen zu verstehen und ihre scheinbare Unveränderbarkeit und natürliche Gegebenheit in Frage zu stellen. Es geht um die Trauer über das, was nicht repariert werden kann, und zugleich darum, Strategien des Überlebens, temporäre widerständige Formationen und unvorhergesehene Nutzungen ruinöser Räume zu betrachten, zu entwerfen, zu praktizieren.“

Von der HfK Bremen werden Prof. Ingo Vetter (Bildhauerei mit klassischen Werkstoffen), Asli Serbest (Temporäre Bauten), Mona Schieren (Theorie und Geschichte der Kunst), Ashkan Sepahvand (Artistic Research) und Martin Schulz (Kunstgeschichte, Theorie und Geschichte ästhetischer Praxis) u. a. anwesend sein. Geplant sind Seminare, Inputs, Walks und Performances zu den zeitlich aufeinanderfolgenden Gruppen „Architektur/Raum“, „Akkumulation“ und „Individuum/Körper(-praktiken)“. Zusätzlichen wissenschaftlichen Input liefern die externen Expert*innen Andreas Müller (Kooperative für Darstellungspolitik), die Kunsthistorikerin Angela Vettese, Avery Gordon (Professorin der Soziologie an der University of California, Santa Barbara) und die Schriftstellerin und Kuratorin Nida Ghouse.

Eine gemeinsame Leser*innen-Reise der HfK Bremen mit dem Weser-Kurier gibt auch der Bremer kulturinteressierten Öffentlichkeit Gelegenheit, den Deutschen Pavillon und die 58. Kunstbiennale unter fachkundiger Begleitung aus der Nähe kennenzulernen.

HfK-Rektor Prof. Roland Lambrette freut sich auf der Eröffnungsfeier über „das wichtige Signal für die künftige Rolle der HfK Bremen. Die Arbeit im Deutschen Pavillon gibt einen starken Impuls für die Entwicklung der HfK als Ganzes und für Freie Kunst im Besonderen.“