Bremen Goes Sustainable – Interview mit Ingo Vetter
Eine Million Euro für Nachhaltigkeit an den Bremischen HochschulenBremen will bis 2038 klimaneutral sein. Das ist erklärter politischer Wille. Während grundsätzlich darüber nachgedacht wird, ob kapitalistische Ökonomie und Nachhaltigkeit zusammenpassen oder das ganze System auf dem Prüfstand stehen muss, werden auch diverse Initiativen der angestrebten gesellschaftlichen Transformation unterstützt. Bremen soll Showroom für Nachhaltigkeit werden und bezieht sich dabei auf die „Sustainable Development Goals“ der UN. Gemeinsam entsprechende Konzepte auch für Forschung, Lehre und Betrieb der Hochschulen entwickeln, erproben, langfristig verankern und all das Wissen in die Zivilgesellschaft einbringen – dieses Ziel verfolgen die vier staatlichen Hochschulen im Land Bremen und das Alfred-Wegener-Institut mit „BreGoS – Bremen Goes Sustainable“. Auf Deutsch: BreWiN – Bremen wird nachhaltig. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert dieses für Bremen bisher einmalige Verbundprojekt über einen Zeitraum von drei Jahren mit einer Million Euro. Davon bekommt die HfK Bremen 225.000 Euro.
Die Kick-off-Veranstaltung fand reges Interesse im Haus der Wissenschaft, mehr als 100 Interessierte nahmen teil. Wissenschaftssenatorin Claudia Schilling (SPD) erklärte, dass Deutschland nicht nur ein Land der Dichter, Denker und Ingenieure sei, auch Konzept und Begriff des nachhaltigen Umgangs mit Natur, Menschen und Ressourcen seien hier erdacht worden – 1713 vom Oberberghauptmann des Erzgebirges, Hans Carl von Carlowitz, in seinem Werk „Silvicultura oeconomica“. Nach Grußworten von Jutta Günther (Rektorin der Universität Bremen) und Antje Boetius (Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts) wurden die Arbeitspakete des „BreGoS“-Projekts präsentiert. Nicht unerwähnt blieb, dass all das erst der Anfang eines tiefgreifenden Wandels der Institutionen und natürlich auch unserer Gewohnheiten sei.
Wir sprachen mit Ingo Vetter, der an der HfK für die „BreGoS“-Projekte verantwortlich ist.
Was interessiert die HfK an „BreGoS“?
Wir wollen Mobilitätskonzepte für die Hochschule entwickeln, also erstmal eine interne Logistik für all die Transporte zwischen und an den Standorten. Wir haben ja einen kleinen Fahrzeugpark mit Gabelstapler, Transporter, Pkw und vier Lastenfahrrädern, alle sind in ein Sharing-System für HfK-Mitglieder eingebunden, das wir erweitern möchten mit selbst entwickelten und in unseren Werkstätten dann auch gebauten Fahrzeugen, die unseren besonderen Bedürfnissen entsprechen.
Werden denn die Benzin-Autos weiter genutzt? Die sind ja eher Hindernisse auf dem Weg zur Klimaneutralität ...
... für bestimmte Sachen werden wir immer ein Auto brauchen. Aber wir können sicherlich ganz viele Transporte und Besorgungen durch Lastenräder ersetzen. Wir müssen uns ja ganz grundsätzlich fragen, was Klimaneutralität für eine Hochschule bedeutet, die sich als Ort des Austauschs und der Internationalität begreift, also das Reisen, Pendeln, Erkunden als Grundvoraussetzung versteht.
Ist Nachhaltigkeit bereits ein Thema im Studium?
Im Design ist es längst ein klassisches Thema, woher Ressourcen kommen und wohin sie gehen, welche neuen Produkte wir überhaupt brauchen, welchen alten nicht mehr. Die Auseinandersetzung wird jetzt an der HfK nochmal forciert durch die neue Stiftungsprofessur „Design and the Future“. Aber auch in der Freien Kunst gibt es viele Projekte, in denen nachhaltiges Zusammenleben eine große Rolle spielt. Überhaupt gibt es dazu ja einen sehr intensiven Diskurs auf Seiten der Studierenden – und wir Lehrenden reagieren darauf.
Mit was beteiligt sich die die HfK konkret an „BreGoS“?
Das Team um Alexander Sahoo baut Lastenfahrräder für besondere Zwecke. Als Ausgangsmaterial nehmen sie Schrottfahrräder, bei denen Technik, Technologie und Lösungen vieler Probleme schon da sind, man muss die Nabe ja nicht neu erfinden. Geplant ist, Komponenten alter Räder zu Prototypen neuer Rädern zusammenzuschweißen.
Diese Materialwiederverwendung ist ja per se nachhaltig. Was sind die besonderen Zwecke, für die die neuen Lastenräder genutzt werden sollen?
Es gibt sperrige Sachen wie einen Kontrabass oder eine große Leinwand, es gibt sehr schwere Sachen wie einen Steinblock, all das bekommt man mit den aktuellen Lastenfahrrädern gar nicht bewegt. Oder Keramiken, die besonders empfindlich sind, mit denen wir nicht einfach so über das Kopfsteinpflaster hoppeln können, für die muss man jetzt immer noch das Auto nehmen, hätten wir ein Rad mit starker Federung, wäre das anders. Bei der Entwicklung kommen wir also von einem allgemeinen Fahrzeug für möglichst viele Lasten zu vielen speziellen Fahrzeugen für besondere Lasten.
Arbeitet ihr mit professionellen Fahrradherstellern zusammen?
Beispielsweise mit Velo Lab in der Bremer Überseestadt und X Y Z Cargo in Hamburg. Eine Metallkonstruktionsbauerin kommt als Lehrbeauftragte zum Projekt dazu. Christian Kuhtz macht einen Workshop, er gibt diese Heft-Reihe „Einfälle statt Abfälle“ heraus voller Anleitungen für Do-it-yourself-Menschen, die also selbst reparieren, bauen, recyceln, upcyceln wollen.
„BreGoS“ will ja rein in die Gesellschaft wirken, Transformationsprozesse anschieben. Kann daher jede Bemer:in die neuen Lastenräder buchen, damit ihre Entwicklung einen Effekt für die ganze Hansestadt hat?
Nein. Das ist ja ein kleines Projekt. Aber wir entwickeln die Räder im Hinblick darauf, wie sie in unserem HfK-Sharing-System funktionieren und wie das auf ein Viertel wie die Überseestadt übertragbar sein könnte, wo die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr noch nicht so toll ist. Wie schaffen wir es, ohne Auto in der Überseestadt unterwegs zu sein, das ist unsere große Frage. Dafür machen wir dann auch eine Fragebogenaktion bei den Nutzer:innen unserer Lastenfahrräder. Und wir kooperieren mit der Hochschule Bremen, die haben ein Fahrrad-Reparatur-Café und das Fahrradmodellquartier Alte Neustadt eingerichtet.
Es gibt ja noch zwei „BreGoS“-Projekte an der HfK.
Ja, beim zweiten Projekt geht es um elektrische Mikromobilität, das betreut Andreas Kramer. Seine Fragestellung ist: Wie transportiere ich eine Waschmaschine oder andere sperrige, schwere Dinge alleine und ohne Auto in der Stadt? Er will dafür auf der Basis von Segways selbst balancierende Handkarren entwickeln, die dann auch ins HfK-Sharing-System integriert werden.
Und du verantwortest das dritte Projekt, da geht es dann klassisch um Kunst.
Ja, um künstlerische Perspektiven auf Mobilität und die Frage: Was transportieren wir warum und wie. Es ist eine Kooperation mit dem Kulturzentrum Heritage Space in Hanoi und wir werden zwei parallele Arbeitsgruppen bilden. In Bremen habe ich vier Lehraufträge an internationale Künstler:innen fürs Wintersemester 2023 zu vergeben, die dann mit Studierenden eine Ausstellung auf der „Dauerwelle“ entwickeln.
Zugesagt hat schon Kayle Brandon aus Bristol. Sie untersucht Warenflüsse, ganz konkret die von Zucker, und will Rum herstellen. Neue Rezepte sollen ausprobiert werden, wobei eben nicht nur karibisches Zuckerrohr eingeflogen wird, sondern heimische Zuckerrüben zum Einsatz kommen.
Weiter dabei sind die Alumni Stephan Thierbach und Felix Dreesen, die haben eine Floßfahrt die Weser runter gemacht und das in einem Buch dokumentiert. Für mich ist sehr interessant, welche Art von Landschaftsbetrachtung bei diesem sehr langsamen Sich-treiben-Lassen entsteht.
Quynh Lam, ursprünglich aus Ho-Chi-Minh-City aber als junge Künstlerin in der ganzen Welt unterwegs, untersucht in ihren Performances Aspekte des Re-lokalisierens, des Verrückens-und-wie-Ankommens. Die Arbeitsgruppe beim Heritage Space besteht ebenfalls aus internationalen Künstler:innen und Alumnae der beiden dortigen Kunsthochschulen und wird sich der Situation in Vietnam widmen. Verkehr in Hanoi ist ganz anders als in Bremen, es ist sehr, sehr voll, wahnsinnig chaotisch beziehungsweise selbstregulierend, Hauptfortbewegungsmittel sind Mopeds, darauf wird alles transportiert, ganze Läden und Existenzen sind darauf gebaut. Die beiden Arbeitsgruppen werden sich online austauschen und parallel ihre Ausstellungen entwickeln. Dieser vergleichende Aspekt ist sehr wichtig für das Projekt.
Arbeiten auch die Bremer Hochschulen für „BreGoS“ zusammen?
Es gibt viermal im Jahr die Marktplatztreffen, wo sich alle Projektteilnehmer:innen austauschen. Da kommt man mit Biolog:innen, Bauingenieur:innen, Ökonom:innen, Ingenieur:innen, Verfahrenstechniker:innen ins Gespräch, deren Horizont und Erfahrungen sind ganz andere als unsere. Ich bekomme da gute Inputs.