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Montag | 30. September 2024

Die Möglichmacherin

Was macht eigentlich ... Lorraine Liedert, Veranstaltungsmanagerin Kunst und Design

Lorraine Liedert, 1992 geboren in Düsseldorf, seit Januar 2024 Veranstaltungsmanagerin Kunst und Design (KuD) an der HfK Bremen
 

Wer seine erste Ausstellung, seine x. Performance, eine Lesung veranstalten oder selbst einen Vortrag halten möchte, der erhält im Fachbereich KuD den Rat, kontaktiere mal Lorraine Liedert, die Möglichmacherin. Dafür musst du Veranstaltungsmanagerin, -technikerin und Kuratorin in einem sein, oder?

Ja, wahrscheinlich die Mischung aus allem. Ich habe mir das alles durch learning by doing beigebracht, hier mal einen Kurs absolviert, dort mal was aufgeschnappt, vor allem als studentische Hilfskraft für meinen Vorgänger Jan Charzinski. 

Zu welcher Abteilung gehörst du?

Die Verwaltung bezeichnet mich immer als ihren Appendix. 

Nichtlateiner sprechen von einem Wurmfortsatz, oder freundlicher: Anhang.

Ja, ich schwebe so zwischen allen, hänge überall dran und drin und versuche die Fäden zusammenzuhalten oder zusammenzuführen. Ich bin auch für Lehrende da, erstmal aber für die Studierenden, ihre Bedürfnisse und Wünsche für eine Veranstaltung vermittele ich dann mit der Lehre, der Verwaltung, dem Rektorat, der Haustechnik, dem Referat für Öffentlichkeitsarbeit, kläre also ab, wo, was, wann, wie, warum passieren soll. 

Was ist der erste Arbeitsschritt?

Alles startet mit der Raumbuchung, gefolgt von Überlegungen wie die Veranstaltung zu organisieren ist, also wie viele Menschen kommen und was wird gebraucht an Technik, Werkzeug, Materialien, Expertisen und Fähigkeiten von anderen Menschen. Ich bin zwar erste Ansprechpartnerin, verweise dann aber gern auf die Kollegen, etwa den beiden top ausgebildeten Veranstaltungstechnikern hier im Haus, Michael Hinrichs und Max Geßelmann-Michaelis.

Was ist für die Bewerbung der Veranstaltungen zu klären?

Gibt es ein Rundmailing, kommt die Veranstaltung in den Newsletter, auf die Website, gibt es Flyer, Anzeigen, Pressemittelungen, wohin ist außerdem zu kommunizieren, welche Menschen sollen eingeladen werden, was brauchen sie und ist die Sicherheit der Veranstaltung gewährleistet? 

Dürfte ich sagen, du bist mit viel Geduld und großem Herzen die Kommunikatorin und Moderatorin für die KuD-Veranstaltungen? 

Das klingt schön.

Was ist weniger schön, nämlich das häufigste Problem bei den Veranstaltungen?

Gibt es einen Adapter für den Beamer. Da scheitern wir oft (lacht). Mein Anspruch ist immer, die Technik den Menschen so zu erklären, dass sie die zukünftig selbst bedienen können. 

Wie lautet die Hauptfrage bei deinen Arbeitseinsätzen?

Viele halten mich noch für die studentische Hilfskraft, die beim Aufbau hilft. Aber das ist jetzt nicht mehr mein Job. Ich bereite vor, organisiere. Ins Leere läuft deswegen die Hauptanfrage, kannst du die Stühle auf- und wieder wegstellen. Das mache ich nicht mehr, man muss von Veranstalter:innen verlangen können, dass sie schon auch mal selbst anpacken oder sich Hilfe holen oder an der HfK die Stelle für ein:e hauptberufliche Stühleaufsteller:in schaffen.    

Das klingt ein wenig genervt.

Nein, ich möchte nur, dass allen die Grenzen meiner Arbeit klar sind.

Bist du für alle Veranstaltungen im Bereich KuD zuständig?

Am Ende schon, die Vortragsreihen Freie Kunst, Lunch Talks, Salon Digital, Ausstellungen von Studierenden, Absolvent:innen und Lehrenden, ich versuche immer zu unterstützen. Überall wo eine Person gerade fehlt, bin gefühlt ich dann da. Manchmal laufen die Veranstaltungen ja auch von selber. 

Was ist für dich wichtig bei deiner Arbeit?

Grundsensibilität für Menschen und für das Räumliche, bei der Ausgestaltung und Nutzung der Räume bin ich ja auch vor Ort, wenn es die Kapazitäten zulassen. 

Wie viele Veranstaltungen betreust du im Semester?

Am Anfang des Semesters weiß ich aufgrund von Anfragen vielleicht von fünf Veranstaltungen – im Semester sind es dann aber schnell über 50. Zu allen kann ich leider nicht gehen, dazu reicht die Zeit einfach nicht. Ich habe eine 30-Stunden-Stelle.

Du bist also vor allem mit der Vorbereitung beschäftigt, du verkabelst nicht, sitzt nicht am Licht- und Tonmischpult oder spielst die Powerpoint-Präsentation ein?

Auch wenn das manche gerne hätten, das ist nicht meine Aufgabe. 

Wenn der Aufbau losgeht, ist deine Arbeit getan?

Ja, ich versuche vorher alles zu koordinieren. 

Gestaltest du Ausstellungen mit, bestimmst etwa die Hängung von Bildern, die Installation von Raumtrennern usw.?

Explizit wurde ich das noch nicht gefragt, weil die meisten gar nicht wissen, dass ich sowas selbst hier an der HfK lernen durfte, aber manchmal kann ich Kniffe weitergeben und mal einen Blick aus anderer Perspektive beisteuern. Ich versuche mich aber nicht einzumischen, weil ich das aus meiner Studienzeit kenne, wo ich nicht mochte, dass mir jemand reinredet. Aber wer das möchte, für den mache ich das gern

Wie lief denn deine berufliche Ausbildung bisher?

Ich habe den Bachelor an der HfK im Integrierten Design, auch immer viel Theorie gemacht und geschrieben. Habe mich dann für Szenografie und Ausstellungsarchitektur interessiert, was bei Prof. Asli Serbest Temporary Spaces hieß. Ich wusste schon immer, dass das Grafische mich nicht ausfüllen kann und glücklich machen wird, da muss noch irgendetwas zukommen, deswegen mein Schritt in die dritte Dimension, die Raumgestaltung. Und jetzt kommen noch Begleitung und Mitgestaltung von Veranstaltungen in den Räumen hinzu sowie der dazu notwendige menschliche Austausch. Das konnte mir die Grafik nie geben. 

Bezeichnest du dich als Künstlerin?

In der Semesterunterbrechung: ja! Sonst habe ich keine Zeit dafür, Kunst zu schaffen. 

War deine Abschlussarbeit Kunst?

Für mich schon. 

Was hast du gemacht?

Ich baute eine große Holzskulptur, eine dreiseitige Treppe, die ich performativ bespielt und dazu einen selbst verfassten Text verlesen habe zum Thema Übergangsrituale zwischen Lebensabschnitten. Die versuchte ich zu erforschen. 

Jungjugendlicher wird pubertär, freigeistiger Kunststudent wird abhängig beschäftigter Grafikdesigner …

... ja, sowas – und wie sich das in der Geschichte gewandelt hat. Was man früher so groß zelebriert hat, gibt es ja kaum noch, wer heiratet heutzutage noch, wer geht noch zur Kommunion?

Hast du da schon überlegt, wie mit so einem Abschluss das eigene Leben zu finanzieren ist?

Ziel war eher, dass ich mir selbst beweise, diesen Abschluss gestalterisch und inhaltlich alleine zu schaffen, ich wusste, dass ich nur mit meinem Bachelor, so wie ich ihn studiert habe, später kein Geld verdienen werde und kann.

Wie hast du dein Studium finanziert?

Ich hatte nie diesen Luxus, einfach nur studieren zu können, habe mich größtenteils selbst finanziert mit vier Jobs neben dem Vollzeitstudium. Danach war ich ziemlich durch. Wollte eine Schlussstrich unter die HfK ziehen und mir in Ruhe überlegen, was ich denn mit dem Leben anfangen will. Hatte geplant, erstmal als Surflehrerin nach Marokko zu gehen. Dann bekam aber mein Partner das Angebot, in Uganda zu arbeiten, da bin ich dann mit und wir lebten dort dreieinhalb Jahre. 

Was hast du vorm Studium gemacht?

In Mönchengladbach absolvierte ich eine duale Ausbildung als gestaltungstechnische Assistentin für Grafik und Druck, die Vorstufe zur Mediengestalterin. Aber davor habe ich die Schule mit der mittleren Reife abgebrochen, passe also in das typische HfK-Künstler-Profil.

Nach all den Jahren an der HfK: Was ist dein Lieblingsraum?

Das Auditorium, weil ich dort sehr viel Zeit verbracht habe als studentische Hilfskraft. Da saß ich oben am Mischpult und durfte das Mikrofon nachregeln, immer mit einem Finger, mit den anderen habe ich gestrickt im Winter, nebenbei noch was für mein Studium gemacht und was gegessen … ich mag heute immer noch die Größe des Raumes und seine Möglichkeiten, diesen Geruch dort und das Surren der Technik.

 Ist die HfK so etwas wie deine zweite Heimat geworden?

Ja, deswegen habe ich mich hier auch wieder beworben. Ich hatte einen Anruf von meinem Vorgänger bekommen und am nächsten Tag gleich meine Bewerbung geschrieben, es war die einzige, die ich nach meiner Rückkehr aus Uganda rausgeschickt habe. Und jetzt verbringe ich wieder einen Großteil meiner Lebenszeit an der HfK.

 Du gehst also gar nicht zur Arbeit, du bist hier einfach zu Hause?

Ja, ein bisschen ist das so.

Du hast den Schlussstrich unter der HfK also wieder zurückgenommen?

Nein, noch nicht, ich bin da offen.

Haben sich deine Erwartungen erfüllt?

Ich wusste ja, dass die Stelle schwierig ist und viel, viel Arbeit bedeutet. Wichtig ist mir, wenn ich da gesund irgendwann wieder rausmöchte, dass man Grenzen setzt und den Austausch mit den Leuten hier wichtig nimmt. Das ist mein Anliegen, für das ich immer noch kämpfen muss. Aber damit bin ich auch menschlich sehr gewachsen. 

Das klingt nach einer stressigen Arbeit, wie gehst du damit um?

Fahrradfahren zum Ausgleich und einfach mal durch den Speicher XI laufen.

Aufputschmittel in Form von Süßigkeiten nutzt du nicht?

Heute nicht mehr, aber früher hatte ich immer den Snackautomaten der HfK geplündert, alle Knoppers-Riegel weggefuttert und auch einen Spint voll mit so Süßkram. 

Was reizt dich als Künstlerin, die Kunst oder die Gedanken anderer Menschen zu präsentieren?

 Ihnen diese Möglichkeiten zu eröffnen, sich und ihre Arbeit bestmöglich an die Öffentlichkeit zu bringen, ihnen dabei den Rücken freihalten, damit der Austausch stattfinden kann zwischen Besucher:innen, Künstler:innen und Kunstwerk. 

Wie sind die Veranstaltenden der HfK vorbereitet? 

Das steht und fällt mit der Erfahrung. Ich hatte jetzt ein paar Bachelor-Präsentationen, wo die Studierenden noch nie zuvor eine Ausstellung gemacht hatten, das war total schön, sie von Anfang an zu begleiten, wie sie so unerfahren, so aufgeregt waren, sich so viele Gedanken gemacht haben, wie die Vernissage zu einem schönen Abend für all die Menschen werden kann, die kommen, mit denen habe ich ganz intensiv zusammengearbeitet. Anders sind die, die total ohne Planung die Sache angehen, die das aber dann auch meist ganz toll schaffen durch Improvisation. 

Das ist eher nicht dein Konzept, oder?

Ich kann es ganz gut mittlerweile, schnell mal was huppifluppi aus dem Ärmel schütteln, das kommt ja mit der Arbeitserfahrung, aber ich möchte schon lieber alles durchgeplant haben. Gerade bei so Großprojekten wie der Jahresausstellung, wo ich Projektkoordinatorin bin, also die Veranstaltung als Ganzes zu betreuen habe.

Der Höhepunkt des Jahres?

Zumindest die wildeste Veranstaltung im Jahr. Sehr groß …

… wegen der Anzahl der Teilnehmenden?

Ja, seit diesem Jahr. Wir haben sonst so 30, jetzt sind es 56 Absolvent:innen der Studiengänge Digitale Medien und Integriertes Design, die ihre Bachelor-/Masterarbeiten zeigen. 

Wo bekommt ihr die alle unter?

Als ich die Zahl 56 in meinem E-Mail-Postfach fand, habe ich zwei Nächte nicht geschlafen und mir wahnsinnige Sorgen gemacht. Nach ein paar Krisenmeetings wurde beschlossen, die Ausstellung auszuweiten, also nicht nur die Halle 1 des Speichers XI A, auch das Auditorium, die Flut und Nebenflut zu bespielen. Langsam schlafe ich wieder ein bisschen besser und hoffe, dass alles klappt und wir den Besuchenden trotz der Masse an Arbeiten einen guten Einstieg in die einzelnen Werke geben können. 

Was bedeutet die Ausstellung für die HfK?

Für die Außenwirkung ist sie wichtig, also dass die HfK damit präsent in der Stadt ist und auch überregional wahrgenommen wird. Was nicht so einfach ist, weil wir ja in der Überseestadt ausstellen, dort kommen Menschen nicht so leicht hin wie zu den Ausstellungsorten in der Innenstadt. 

Das ziellose Umherschweifen und interessenlose Schauen in Ausstellungen lässt einen ja immer wieder etwas Unerwartetes als etwas Bereicherndes entdecken in der schieren Menge an Objekten und führt so aus der Zerstreuung zur Konzentration. Warum sollten Kunstinteressierte für dieses Erlebnis gerade den Weg zur Jahresausstellung auf sich nehmen?

Die HfK ist dort als Spielwiese zu erleben, wo künstlerisch sehr viel ausprobiert wird, und sie zeigt sich auch als junges Sprachrohr der Stadt, weil so treffend in den gezeigten Arbeiten das behandelt wird, was in Bremen und der Welt so passiert.

Der Fokus ist politisch und schaut aufs Soziale?

Total! Viele Arbeiten sind wahnsinnig aktuell und deswegen erst zur Vernissage fertig. 

Ihr greift mit der Ausstellung beherzt die Vielfalt der gegenwärtigen Kunstproduktion auf, wie schafft man es da, das Disparate und Unterschiedliche unter eine Gesamterzählung zu fassen, die sowohl möglichst plausibel für die Ausstellung als auch nach einer Programmatik der HfK klingt? 

Da wir ein breites Publikum ansprechen müssen, ist das aber auch ein Problem. Oder besser: eine große Herausforderung. Wie sind 56 Arbeiten dem Publikum zu vermitteln? Bei Einzelausstellungen von Bachelor- und Masterarbeiten haben Besuchende Zeit und Raum und Kapazitäten für eine Arbeit, bei der Jahresausstellung gibt es diese riesengroße Überreizung, da sind es manchmal Sekunden der Erstbetrachtung, die entscheiden, ob jemand Lust hat, sich in die Arbeit hineinzufuchsen und sich mit ihr auseinanderzusetzen oder eben nicht – und einfach weitergeht. Die Zugänglichkeit zu ermöglichen, das ist unsere Aufgabe. Und da freue ich mich einfach sehr, die beiden Kuratorinnen Elizaveta Kovalenko und Liudmila Savelyeva im Team zu haben, die sich dieser Herausforderung so großartig und mutig annehmen.

Das ist so eine Messesituation, dieser Kampf um Aufmerksamkeit?

Kann man so sagen. 

Was ist neu an der Jahresausstellung 2024?

Sie läuft länger als sonst. Das war bisher immer so frustrierend, man arbeitet monatelang an der Ausstellung und baut wochenlang auf, und dann musste nach drei Tagen der ganze Wumms schon wieder abgebaut werden. Daher haben wir in diesem Jahr eine ganze Woche drangehängt, sie läuft vom 15. bis 24. November 2024.

Liebe Lorraine, vielen Dank für das Gespräch.