Für Dorsa Eidizadeh sind Glocken nicht nur hübsche Erzeugerinnen lieblicher Melodien, sondern Symbole für die Verniedlichung und Verdrängung unerquicklicher Perioden der Geschichte. Und da die iranische Künstlerin auch Shakespeare-Fan ist, betitelte sie 2024 als Meisterschülerin bei Prof. Andree Korpys und Prof. Markus Löffler ihre HfK-Abschlussarbeit, eine „Performance and Two part installation, consist of 30 bells on metal structures and graffiti on 10 prints“, mit diesem Zitat: „By the pricking of my thumbs, something wicked this way comes“. So kündigen die Hexen in „Macbeth“ die Ankunft des Bösen an, den mörderischen Titelhelden. Aber von welchem Unheil erklingen die Glocken?
In der aktuellen Ausstellung der Städtischen Galerie konkretisiert Eidizadeh die Hintergrundgeschichte. Wieder zeigt sie 30 Porzellanglocken an künstlich patinierten Metallstrukturen und nutzt dafür ein weiteres Hexen-Zitat aus „Macbeth“, das auf die Umkehrung von Gut und Böse verweist: „Fair is foul and foul is Fair, Hover through the fog and filthy air“. Für diese Installation wurde ihr der 48. Förderpreis für Bildende Kunst zuerkannt. Er wird vom Senator für Kultur verliehen und ist mit 6.000 Euro dotiert, hinzu kommen eine Einzelkatalogförderung von 3.000 Euro sowie eine spätere Einzelausstellung in der Städtischen Galerie.
Die Künstlerin beschäftige sich mit dem Glockenspiel-Klingklang in der Böttcherstraße. Dorsa Eidizadeh eröffne sinnliche, haptische und poetische Zugänge zu der Frage, wo sich in unserer Stadt und in unserer Gesellschaft koloniale Strukturen manifestieren und wie man damit umgehen kann, wenn man diese unreflektierten Kontinuitäten eigentlich verändern möchte, teilt die Galerie mit. Was heißt das genau?
Vom 1. April bis 31. Dezember versammeln sich täglich zwischen 12 und 18 Uhr zu jeder vollen Stunde vor allem Touristen in der Böttcherstraße, um dem Geläut der Meißener Porzellanglocken zu lauschen, die die Künstlerin für ihre Arbeit nachgebildet hat. Aber in der Ausstellung sind sie stumm. Der Klang wird zugespielt aus einer Audiodatei. Die Musik ist übergestülpt. So wie die putzige Klanginszenierung von Volks- und Seemannsliedern im Original zwischen zwei den Giebeln über dem „Atlantis“-Kino die Geschichte der Straße überbimmelt. Und zwar schon seit 1934.
1902 kaufte Ludwig Roselius (1874 bis 1943) ein Kontorhaus in der vom Verfall bedrohten Böttcherstraße, die er anschließend zum repräsentativen Unternehmensschaufenster für die Produkte seiner Kaffee-HAG-Firma, aber auch zum expressionistischen Gesamtkunstwerk ausbauen ließ. Für Roselius war es ein Versuch, „deutsch zu denken“ und ein Ausdruck dafür, „eine neue und größere Zeit für Deutschland zu erwecken.“ Roselius war völkisch denkender NS-Fan, Anhänger germanischer Mythologie und Beförderer des Kolonialrevisionismus. Mit ihm traten viele Bremer Kaufleute aktiv dafür ein, die ehemaligen Kolonien Deutschlands, die ihnen durch den Versailler Vertrag entzogen wurden, zurückzuerobern und weiter ausbeuten zu dürfen. Roselius eröffnete 1940 an der Böttcherstraße auch ein (im 2. Weltkrieg zerstörtes) Museum mit dem Zweck, für die Rückforderung der Kolonien zu werben. Es war nach Adolf Lüderitz benannt, der Namibia kolonialisierte. All das realisierte Roselius mit dem Geld, das er durch den Handel mit der Kolonialware Kaffee zusammengerafft hatte.
Kolonialgeschichtliche Symbolik findet sich auch in den von Bernhard Hoetger entworfenen Holztafeln, die sich in einem Turm zur Glockenspielmusik drehen. Dargestellt sind „Ozeanbezwinger“ wie Christoph Kolumbus, dem Initiator eines Völkermords. Auf eben solche Spuren der Vergangenheit unter dem schönen Schein Bremens und den Umgang damit zu verweisen, macht Dorsa Eidizadehs Arbeit so reizvoll.
Begründung der Jury zur Preisvergabe an Dorsa Eidizadeh
„Dreißig weiße, fein gearbeitete Porzellanglocken werden im Ausstellungsraum der Städtischen Galerie Bremen in einer architektonischen Installation gezeigt. Wie in einem traditionellen Glockenspiel werden in regelmäßigen Abständen Sequenzen kurzer Melodien hörbar, deren Ursprung offenbar in den Glocken liegt – die jedoch technisch als Audiospur ausgespielt werden. Die Glocken werden so zu aufgeladenen Objekten, die durch die akustischen Signale Assoziationsräume wachrufen. Ein begleitender Text weist auf Dissonanzen der Wahrnehmung im Vertrauten hin.
Die Verbindung zum berühmten Glockenspiel in der Böttcherstraße wird erläutert. Die Künstlerin thematisiert darin übermächtige Narrative der Vergangenheit, die sich an diesem touristisch hoch frequentierten Ort in der aus dem kolonialen Reichtum schöpfenden Architektur umfänglich manifestieren. Die Arbeit überzeugt besonders, weil sie durch ihren modellhaften Aufbau eine eindringliche und komplexe Botschaft übermittelt, die jedoch eine eigene, freie und für sich stark wirkende Form findet. Die Formulierung ritualisierter Räume durch Klang und die in der Arbeit evozierte Möglichkeit der Befreiung von starren, linearen Deutungsmustern der Vergangenheit schaffen ein starkes Bild des offenen Dialogs.“
Der Preis und die Jury
Die Preisträger:in des Förderpreises für Bildende Kunst wird immer in einem zweistufigen Verfahren bestimmt. Aus allen eingehenden Bewerbungen wählt zunächst eine regionale Vorschlagskommission die Kandidat:innen für eine Ausstellung in der Städtischen Galerie Bremen aus. 2025 wurden aus den insgesamt 33 Einsendungen zwölf Künstler:innen nominiert: Elfin Açar, Franca Brockmann, Dorsa Eidizadeh, Johannes Fiola, Atsushi Mannami, Shoji Matsumoto, Ludger N.o.kel, Renen, Yoriko Seto, Hassan Sheidaei, Behshad Tajammol und Carlotta von Haebler. Unter ihnen wählt eine überregionale Jury die Preisträger:in aus. In diesem Jahr gehörten Dr. Katrin Hippel (Museum Kunst der Westküste, Alkersum, Föhr), Prof.in Heike Mutter (Künstlerin, Hochschule für Bildende Künste Hamburg), Junia Thiede (Kunstverein Braunschweig), Dr. Julia Wallner (Arp Museum Bahnhof Rolandseck) und Dr. Linda Walther (Museumszentrum Quadrat Bottrop) der Jury an.
Ausstellung 48. Bremer Förderpreis für Bildende Kunst
Ort: Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112
Ausstellungslaufzeit: bis 27. April 2025
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, jeweils 12 bis 18 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Der Veranstaltungsort ist eingeschränkt barrierefrei zugänglich.