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Freitag | 12. August 2022

Turmorgel an der Dechanatstraße

Über den Dächern des Bremer Schnoorviertels thront die Königin der Instrumente

In der inzwischen über 70-jährigen Geschichte der Ausbildung von Kirchenmusikern hat sich Bremen in der nationalen und internationalen Musikszene einen hervorragenden Ruf erworben und gilt heute als eine der ersten Adressen für die Ausbildung von Kantoren und Organisten. Großen Anteil daran haben zunächst die Professoren und Lehrenden, die das hohe Niveau der Bremer Orgelausbildung prägen und zu denen so klangvolle Namen wie Harald Vogel, Hans Davidsson, Hans-Ola Ericsson oder Wolfgang Baumgratz zählten, heute ist Dr. Edoardo Maria Bellotti der HfK-Professur für Historische Orgel.

Unzweifelhaft hat Bremen darüber hinaus von seiner Lage im Zentrum einer einmalig reichen Orgellandschaft mit einem Bestand von mehr als 200 Orgeln aus allen Perioden seit der Spätgotik sowie des Hauptwirkungskreises des bedeutendsten Orgelbauers des Barock, Arp Schnitger, profitiert.

Mangels eigener Orgel war die HfK allerdings lange auf die Unterstützung von Bremer Kirchengemeinden (unter anderem Bremer Dom, Unser Lieben Frauen, St. Martini, St. Ansgarii, St. Remberti, Waller Kirche) angewiesen, die HfK-Studierenden im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Türen und Orgelspieltische öffneten. Allerdings führten Prioritäten des eigenen Gemeindelebens, der Gottesdienste und der Nutzung durch den Tourismus naturgemäß zu Einschränkungen. Außerdem braucht es im Winter schon einige Abhärtung, um bei wenigen Grad über Null stundenlang zu spielen.

Nach jahrelangen Planungen, vielfältiger Überzeugungsarbeit, Gesprächen und Verhandlungen mit Orgelbauern und hartnäckiger Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten wurde beschlossen, für den Fachbereich Musik an der Dechanatstraße eine neue Orgel in Auftrag zu geben. Das Gebäude, 1872-1875 von Baudirektor A. Schröder in spätklassizistischen Formen als prachtvolle Dreiflügelanlage gebaut, war als Altes Gymnasium einst die Eliteschule des bremischen Bürgertums. Seit 1991 werden dort die Musik-Studierenden ausgebildet. 2010 bekam dort die Königin der Instrumente ihre neue Heimat. Mit der Inbetriebnahme der Orgel wurde gleichzeitig ein architektonisches Kleinod der Stadt, das bei der Sanierung des Gebäudes von 2003 bis 2006 ausgespart geblieben war, wieder wachgeküsst: Bremens historische Sternwarte über den Dächern des Schnoorviertels in einem achteckigen Turm, der eigens für die akustischen und statischen Bedürfnisse der neuen Bewohnerin umgebaut wurde. Die Kosten für die Orgel, 360.000 Euro, übernahm die Hochschule zur Hälfte, die andere Hälfte zahlte die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Wohlgemerkt: Unter der Leitung von Orgelbaumeister Heiko Lorenz aus Wilhelmshaven ist keine große Konzertorgel neu entstanden – dafür böte der Turm gar nicht den Raum. Entstanden ist vielmehr ein hochwertiges Übe- und Unterrichts-Instrument insbesondere für das romantische, spätromantischen und zeitgenössische Orgelrepertoire, das Klang, Spieltechnik und Registrierungsmöglichkeiten großer Kirchenorgeln – etwa der großen Sauer-Orgel im Bremer Dom – praxisgerecht in den räumlichen und akustischen Gegebenheiten des Turms bereitstellt.

Die Turmorgel hat 739 Pfeifen– normale Kirchenorgeln fangen erst bei 1.000 Pfeifen an. Der ehemalige Orgel-Professor Harald Vogel erklärte der „taz“: „Für uns wurde aber ein neuer Typus Orgel entwickelt: Sie verbindet herkömmliche Bauweisen mit moderner Technologie. Ihre Orgelpfeifen sind bis zu 150 Jahre alt, die technische Apparatur ist digital. Sie hat die wesentlichen Klanggruppen und hüllt den Spieler davor komplett in ihren Klang ein wie sonst nur in großen Räumen wie dem Dom. Zum Üben reicht sie also völlig aus.“ Die Pfeifen wurden auf 20 Register – z. T. als Transmissionsregister – verteilt. Der Spieltisch verfügt über drei Manuale und Pedal und wurde mit modernen und heute üblichen Spielhilfen (computergestützte Registrierungsmöglichkeiten) ausgestattet. Die wichtigsten Register sind im Hauptwerk: Principal 8’, Violon 16’, Hohlflöte 8’, Gambe 8’, Holzflöte 4’, Flöte 2’ sowie im Schwellwerk Gedackt 8’, Salcional 8', Vox Celeste 8’, Praestant 4’ und Oboe 8’. Im Pedal befinden sich die großen Pfeifen von Subbass 16’, Violonbass 16’ und Violon 8’. Alle Pfeifen sind in geschlossenen Schwellkästen untergebracht. Dieser Technik ist u. a. auch zu verdanken, dass Nachbarn wie die übrigen Studierenden in den Konzert- und Übungsräumen ziemlich ungestört bleiben.

Das Projekt der Turmorgel im Hochschulgebäude in der Dechanatstraße wurde von vornherein als ein Forschungsprojekt angelegt, das den Klang und die Technologie der Spielhilfen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts bereitstellt. Gleichzeitig sollte das Besondere dieses speziellen Orgelstils, nämlich die indirekte Verbindung von Taste und Klangventil durch eine pneumatische (Druckluft) oder elektrische Auslösung, vermieden werden. Durch Vermittlung von Harald Vogel kam Orgelbauer John Brombaugh aus den USA nach Bremen, um eine sensitive mechanische Traktur zu entwerfen, die ein direktes Spielgefühl ermöglicht. Es handelt sich bei der Turmorgel um eine moderne Orgel mit allen erforderlichen (elektrisch gesteuerten) Spielhilfen, einer auf den Anschlag der Spieler fein reagierenden mechanischen Spieltraktur und einem überwiegend historischen Pfeifenwerk. In diesem Sinne ist das Instrument wohl ein Unikat im gegenwärtigen Orgelbau.

Unter Finanzierungsgesichtspunkten stand das Projekt dabei von vornherein unter der Maxime „gut und günstig“. Neben dem Verzicht auf optisch-ästhetische Aufwertungen, wie z. B. einen Schauprospekt, ermöglichte vor allem die Unterstützung des Bistums Oldenburg die Realisierung des Projekts. Bei Orgel-Umbauprojekten in Kirchen des Bistums wurden über viele Jahre Pfeifenregister systematisch gesammelt und archiviert – darunter gerade auch romantische Register, die in der Nachkriegszeit phasenweise dem Zeitgeschmack zum Opfer gefallen waren. Das Bistum hat für die HfK-Orgel geeignete Register zur Verfügung gestellt. Martin Cladders (Badbergen) arbeitete die Pfeifen neu auf. Die einzigen neuen Pfeifen sind F bis H des Principal 8’ sowie Violon und Oboe 8’.

Aufstieg und Blick in die alte Sternwarte über dem Orgelzimmer im Turm an der Dechanatstraße – sowie der freie Blick über die Dächer Bremens.