Apply Now!

Integriertes Design Master: Bewerbungszeitraum für das Sommersemester 2025: 1.12.2024–13.1.2025

Mehr Informationen
Neuigkeit
Sonntag | 25. Februar 2024

Was machen eigentlich: Wenzel Stählin und Anja Engelke

Leiter:innen der HfK-Fotowerkstatt
Wenzel Stählin und Anja Engelke.
Wenzel Stählin und Anja Engelke. © Stählin/Wenzel

In unserer Rubrik „Was macht eigentlich…?“ erzählen Hochschulangehörige von und über ihre Arbeit.

Seit Frühjahr 2023 leitet ihr die Fotowerkstatt der HfK Bremen. Was habt ihr zu eurem Start vorgefunden und was geändert?

Anja: Hier war alles gut aufgestellt und organsiert mit Prozessen, die funktionieren. Nur die Dunkelkammer wurde wenig genutzt, die haben wir erstmal neu belebt und Analog-Foto-Kurse wieder angeboten. 

Analog fotografieren, warum soll man das heute wieder machen?

Anja: Das ist ein anderer Style, ein anderes Gefühl. Ich weiß dann halt, einmal auf den Auslöser drücken kostet so und so viel Geld, dann habe ich eine viel fokussiertere Herangehensweise, als wenn ich denke, ich kann 1.000 Bilder digital machen, es kostet mich nichts. 

Wenzel: Wenn du mit Großbildkameras arbeitest, erreichts du analog eine Auflösung, die du mit normalen Digitalkameras nicht erreichen kannst. Diese wahnsinnig große Qualität des Analogen hat nach wie vor eine Gültigkeit in der Kunst, auch wenn das kommerziell keine Rolle mehr spielt. 

Ihr habt das Angebot der Fotowerkstatt auch erweitert ...

Wenzel: ... und eine neue Reihe initiiert: Lab-Talks. Da wir beide Künstler:innen sind, wollten wir Kolleg:innen, die für ganz eigene Arbeitsprozesse stehen, zu uns in die Werkstatt einladen und darüber ins Gespräch kommen. Wir reden in der Kunst häufig über das Warum, über Konzepte, Ideen, nicht so sehr über das Know-how. Das soll unsere Reihe ändern. 

Was bietet die Fotowerkstatt noch?

Anja: Neben der Dunkelkammer betreuen wir ein richtig gut ausgestattetes Profi-Fotostudio sowie Arbeitsplätze zum Scannen und für digitale Bildbearbeitung mit den Programmen der Adobe-Cloud.

Wenzel: Außerdem drucken wir viel aus, vom kleinen Foto bis zum großen Poster, 1,10 Meter in der Breite und so lang wie die Papierrolle ist. Das nutzen Leute aus der ganzen HfK. Die Arbeit am Fotodrucker machen wir selbst. Ins Fotostudio kann jeder, jede nach einem Einführungskurs kommen und selbstständig arbeiten. 

Also der komplette Fotografie-Prozess wird bei euch abgebildet. 

Wenzel: Wir gewährleisten einen sehr guten Workflow. Du kannst morgens bei uns im Studio einen Film belichten, dann gehst du in die Dunkelkammer und entwickelst ihn, dann gehst du hoch in den Digitalraum und scannst ihn ein und dann drucken wir ihn aus. 

Ihr seid die Fotografen im Studio?

Anja: Nein, wir verstehen unsere Arbeit nicht so, dass man hierherkommt – und wir beiden machen wie Dienstleiter die Aufnahmen oder entwickeln Filme. Wir leiten an, bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Nur wenn wir sehen, dass das, was Studierende machen, noch schöner, besser geht, dann erklären wir das. Die sollen ihr Ding machen – und wir sind nur die beratenden Menschen. 

Und wer keine Kamera besitzt?

Anja: Wir haben auch eine Kameraausleihe, wer also kein Equipment hat, bekommt es bei uns.

Wie lernen Studierende den Umgang mit dem Medium Fotografie?

Anja: Wir bieten Einführungskurse an festen Terminen an, die kommunizieren wir, da kann man sich einfach anmelden. Die sind allerdings häufig sofort ausgebucht, wenn wir sie ausgeschrieben haben. Deswegen gibt es eine zweite Möglichkeit, Studierende suchen sich selbst eine Gruppe, kommen auf uns zu und dann suchen wir gemeinsam einen Kurstermin.

Gilt das auch für Musikstudierende?

Anja: Musiker:innen verirren sich noch selten zu uns, aber das soll sich ändern. Um im Studio zu arbeiten, braucht man eine Einführung, die haben Musiker:innen in der Regel nicht, aber sie brauchen natürlich gute Bilder von sich und so wollen wir jetzt Workshops anbieten mit Kamera-Basics und das verbinden mit kleinem Foto-Shootings im Studio. So dass man mit einem Wissen um Studiofotografie, aber auch mit einem guten Foto nach Hause gehen kann, was dann für die Bewerbung von Konzerten benutzt werden kann. 

Und wer nun die Kurse nicht absolviert hat und trotzdem Fotos machen möchte?

Anja: Veranstaltungen sind hier an der HfK ja so interdisziplinär, dass sich dort Studierende vernetzen, also auch Foto-Laien auf Kommiliton:innen treffen, die fotografieren können – und sich kennenlernen und bei Bedarf kontaktieren.

Habt ihr eine Arbeitsteilung? 

Wenzel: Wir sind beide in Teilzeit hier, es gibt daher drei Tage, an denen nur einer von uns da ist, sodass jeder alle Aufgaben erledigen können muss. Und jeder von uns hält auch Einführungskurse.

Von woher seid ihr eigentlich an die HfK Bremen gekommen?

Anja: Ich bin in Bremen-Woltmershausen aufgewachsen. Mit Sicht auf Teile des Speichers XI. Habe dann hier Integriertes Design studiert, 2003 bis 2008, und dann als Künstlerin gearbeitet, dafür braucht man auch Geld, so habe ich für E-Commerce-Firmen Onlineshop-Fotos gemacht und unterrichtete an der Kunstschule Wandsbek sowie an der Bauhaus-Universität Weimar. 

Wenzel: In bin in Stuttgart geboren. So vereine ich die schönsten deutschen Dialekte: Schwäbisch und Sächsisch – jetzt bin ich in Bremen und kann sie wieder loswerden. 

Sächsisch?

Wenzel: Ich habe in Leipzig gelebt, dort Fotografie studiert bei Heidi Specker, anschließend als freier Künstler gearbeitet und als Brotjob auch viel fotografiert, für Museen, Galerien, auch Architektur. Lauter so Zeugs ... 

... Mode, Lebensmittel, Hochzeiten?

Wenzel: Hätte ich auch gemacht, wenn Aufträge reingekommen wären. In Bremen kann ich die Zweiteilung meiner Arbeit nun beibehalten, habe eine halbe Stelle in der Fotowerkstatt, um mein fotografisches Wissen weiterzugeben – und nutze die andere Zeit weiter für meine künstlerischen Arbeiten. 

Was fasziniert dich an der Fotografie?

Wenzel: Das Tollste ist der super unmittelbare Zugang zur Welt, ich kann rausgehen und in jeder Lebenssituation mit meiner Kamera irgendetwas machen. Und dann kann man mit dem Bild auch noch weiterarbeiten im Studio und es anschließend auf eine Hauswand tapezieren, einen schönen Abzug in der Dunkelkammer machen, es auf Stoff drucken, projizieren ... endlose Möglichkeiten. Bei mir fängt der künstlerische Prozess immer mit einem Bild an, wenn mir das was sagt, ich eine Beobachtung von gesellschaftlicher Relevanz entdecke, recherchiere ich dazu weiter, lese viel und fotogarfiere aus dem anfänglichen Impuls weiter, um etwas Neues daraus zu machen. Fahre irgendwo hin oder baue Szenen im Studio nach, daraus entsteht eine Arbeit, etwa eine Fotoserie, die eher konzeptuell ist.

Da geht es nicht um Abbild der Realität, sondern um deine Interpretation?

Wenzel: Genau. Beispielsweise bei meiner Serie „Wachsen“. Da war der Ausgangspunkt sehr persönlich: Mein Vater lag im Sterben, ein Hirntumor ist in seinem Kopf gewachsen, gleichzeig ist im Bauch meiner Frau ein Kind gewachsen. Tod und Leben. Dann sind wir in Tübingen, wo mein Vater in einer Klinik lag, im Botanischen Garten spazieren gegangen, im Winter, draußen hat der Garten in der Kälte geschlafen, drinnen in den Gewächshäusern wuchsen die Pflanzen. Ich habe das alles fotografiert, eher dokumentarisch, die Bilder mit den unterschiedlichen Aspekten von Wachstum beschäftigten mich dann weiter und brachten mich dazu, mich mit Wirtschaftswachstum und dem Ende des grenzenlosen Wachstums aufgrund unserer begrenzten Ressourcen auseinanderzusetzen. Und kam dann zu körperlichem Wachstum, Bodybuilding und Fitness, den Körper zum Wachsen zu bringen durch Muskelaufbau zur Selbstoptimierung am Arbeitsplatz ...

... um das Bruttosozialprodukt weiter wachsen zu lassen ... 

Wenzel: ... genau. Am Ende war ich dann auf einer Fitness-Messe in Köln und habe dort festgestellt, dass viele der Stände mit Blumen dekoriert sind. Was mich an Stillleben erinnerte, wo Blumen diese Memento-Mori-Symbolik haben, gedenke deiner Sterblichkeit – und dann sieht man dahinter diese unglaublich trainierten Körper, dieses Streben nach körperlicher Perfektion, nach Unsterblichkeit. So ist dann die Stilllebenserie „Wachsen“ entstanden – mit Körpern und Blumen. 

Und wie nutzt du das Medium künstlerisch?

Anja: Das fing hier an der HfK an mit einem Fotoprojekt, das ich gemacht habe, um mich von meinem Diplom abzulenken. Ich habe mir bekannte und wichtige Positionen der Fotografiegeschichte ausgesucht, sie als Kuchen nachgebacken, abfotografiert und teilweise dann auch gegessen, um sie zu verinnerlichen. 2018/19 lebte ich dann in einem Foto, baute dafür in meiner Wohnung die Arbeit „Room 125“ des amerikanischen Künstlers Stephen Shore aus dem Jahr 1973 nach: ein Hotelzimmer. Ich bin in das Bild eingezogen und habe dort die Fotos gemacht, die Shore nicht gemacht hat. Aktuell beschäftige ich mich mit der Fotogeschichte, indem ich mit KI neu hinterfrage. 

Warum bist du zurückgekehrt an die HfK?

Anja: Ich war immer in Kontakt mit meinem Vorgänger Matthias Schneege, der hat immer so nett von dieser Stelle geredet, dass ich dachte, wenn Matthias geht, möchte ich die Stelle haben. Habe mich also Jahre auf die Bewerbung vorbereitet und das hat dann auch geklappt. Ich habe mich sehr gefreut, dass mich viele wiedererkannt haben im Speicher XI bei meiner Rückkehr, ich konnte wie in eine Familie zurückfinden. Auch eine Heiligenfigur, die ich als Studentin im Digitalraum hinterlassen hatte, steht dort immer noch. Ich war also nie richtig weg ...

Und was hat dich, Wenzel, an der HfK interessiert?

Wenzel: Ich habe eine persönliche Geschichte dazu. Mein Opa Jobst von Harsdorf war hier von 1961 bis 1989 Professor für Verlagsgrafik. Der hat tolle Sachen über die Hochschule erzählt, genau so wie mein Bruder, Anselm Stählin, der hier bis 2015 Integriertes Design studiert und bei Karl Strecker in der Holzwerkstatt gearbeitet hat, da er zuvor bereits eine Tischlerlehre absolviert hatte. Mein Bruder schickte mir auch das Jobangebot für die HfK-Fotowerkstatt und sagte, bewirb dich doch mal. Das passte einfach, denn meine Frau, meine zwei Kinder und ich wollten raus aus Leipzig, eigentlich aufs Land ziehen, da aber neben meinem Bruder auch meine Mutter in Bremen wohnt, habe ich gedacht, ob es nicht gut wäre, Richtung Familie zu ziehen – und es ist gut.

Für was steht die Fotografieausbildung an der HfK Bremen?

Wenzel: Die ist für mich immer verbunden mit Peter Bialobrzeski, also der Tradition der Dokumentarfotografie, die ja jetzt mit Andrea Diefenbach fortgesetzt wird. Wobei das Besondere an der HfK die Einbindung der Fotografie in Integriertes Design und die Freie Kunst ist, so dass sehr verschiedene Zugänge vermittelt werden können.

Anja: Für mich ist die Fotoästhetik hier auch mit Peter Bialobrzeski verbunden, ich habe schließlich bei ihm studiert, obwohl ich mit Illustration angefangen und erst im 4. Semester meinen ersten Fotokurs belegt habe.  

Wenn ihr Arbeiten der Studierenden der letzten zwölf Monate Revue passieren lasst, gibt es Trends an der HfK?

Wenzel: Die Beschäftigung mit der eigenen Biografie und Identitätsthemen sind gerade sehr präsent, Herkunft ist wichtig, Geschlechtsidentitäten und Rollenbilder.

Und was ist ästhetisch angesagt?

Wenzel: Basis ist eine dokumentarische Suche, aber häufig geht es auch weiter, es gibt immer wieder Leute, die das klassische Fotografieren mit anderen Techniken kombinieren, Collagen mit dokumentarischen Fotos machen, sie mit gefunden Objekten kombinieren oder in Installationen neu inszenieren.

Bestärkt ihr den einen oder anderen Trend?

Wenzel: Mir wurde im Studium immer gesagt: Ihr seid alle Künstler. Das gibt einem so eine Freiheit. Dass man alles machen kann, was man will. Also ich kann mit allen Regeln brechen, die es beim Fotografieren gibt, wenn ich das will und es nicht einfach nur willkürlich ist. 

Es muss Sinn machen!

Wenzel: Deswegen quatsche ich bei der Bildbearbeitung nicht rein. Die Student:innen müssen ihre Idee entwickeln – auf welchen Wegen auch immer.

In unserer Zeit kann ja jede/r jedes Bild mit KI und Bearbeitungsprogrammen erstellen, ohne je fotografiert zu haben. Welche Berechtigung hat Fotografie da noch?

Anja: KI wird dazu führen, dass ganze Arbeitsbereiche für Fotografen wegfallen, etwa Produktfotografie. Aber KI wird auch zur Rückbesinnung zu analogen Techniken führen. Und je mehr wir mit Fake News usw. überschüttet werden, desto wichtiger wird die dokumentarische Fotografie. Auch in der Kunst wird Fotografie nicht an Bedeutung verlieren, genauso wenig wie Malerei durch die Erfindung der Fotografie an Bedeutung verloren, sondern an Freiheit gewonnen hat ...

... Malerei wurde expressionistisch, dann abstrakter, konzeptioneller ... und Fotografie wird nun wieder konkreter und an einer zeitgemäßen Idee von Realismus arbeiten?

Wenzel: Fotografie hat den Wahrheitsanspruch verloren, weil ja bald gar nicht mehr zu verifizieren ist, ob ein Bild Wirklichkeit abbildet oder am Computer erstellt wurde. Dagegen wird sich die Fotografie wieder schärfen in dem, was sie ist. Wenn alles Bild sein kann und alles aussehen kann wie ein Foto, dann kann man sich rückbesinnen auf das, was Fotografie mal war, wie man zu einem Bild kommt. Genau zu beobachten, nach dem Licht zu schauen, den richtig Moment einzufangen usw. Also das abzubilden, was wirklich passiert ist.

Im Zeitalter des Foto-Overkills auf Instagram und Co. – ist da noch die Grenze zu erkennen, wann aus einem Foto ein Kunstwerk wird?

Anja: Wenn es im Museum hängt, ist ein Foto ein Kunstwerk.

Wenzel: Wenn ich meine Fotos nur auf Insta teile oder im angewandten Bereich etwas mit Fashion mache, dann ist das erstmal keine Kunst, was nicht heißt, dass es nicht künstlerisch sein kann, es findet einfach nicht in einer Sphäre statt, um in einem künstlerischen Kontext bewertet zu werden. Ich finde diese Trennung überflüssig, sie wird aber gerade in Deutschland sehr ernst genommen. Viele Fotografen haben daher zwei Websites, eine für die künstlerischen, eine für die angewandten Arbeiten. 

Das ist ja schizophren.

Anja: So funktioniert der Markt.

Vielen Dank für das Gespräch.