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Friday | 30 August 2024

Party until the end!

Master student Martin Reichmann on his favorite material concrete and his Weserburg exhibition
© Tobias Hübel

Beton ist günstig, flexibel einsetzbar und einfach die Härte. Kies, Sand, Zement, Wasser mischen, in ein Stahlskelett füllen, trocknen lassen: fertig sind Fundament, Wände und Decken. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der praktische zum trendigen Baustoff. Die Brutalismus-Architektur von Schulen, Universitäten, Kulturzentren, Bibliotheken und bezahlbarem Wohnraum stand für das schroffe Selbstbewusstsein kompromissloser Funktionalität und wurde gefeiert als die Form gewordene Utopie der sozialdemokratischen Wohlstandsgesellschaft. Heute werden Sichtbetonbauten für die Unwirtlichkeit von Wohnsilos und Monotonie der Innenstädte verantwortlich gemacht sowie als ungeschöntes Sinnbild des boomenden Kapitalismus wahrgenommen. HfK-Meisterschüler Martin Reichmann hat sich diesem Material verschrieben. Er hinterfragt, inszeniert, kombiniert und arrangiert es im Spiel von Fließen und Erstarren aus einem neuen Blickwinkel für seine Ausstellung in der Weserburg: „Hyper!ons Epiphysis“ (bis 22.9.2024). 

 

Martin Reichmann.
Martin Reichmann. © M. Reichmann

Zu Beginn deines Kunststudiums hast du mit Ölfarben auf Leinwand gemalt, heute bist du Bildhauer und arbeitest mit Beton. Wie kam es zu diesem radikalen Wandel?

Martin Reichmann: Während des Studiums an der Kieler Muthesius Kunsthochschule habe ich auf Baustellen gejobbt und kam dort erstmals mit Beton unmittelbar in Berührung. Im zweiten Semester malte ich dann das Bild von einem Betonmischer, so ein knalloranges Teil, und betonierte es ein. Da fragte mich mein Professor, warum machen sie das nicht richtig und kaufen sich einen Betonmischer und betonieren diesen ein? So. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl, man könnte Bilder auch dreidimensional malen, habe ich angenommen und mich mit Bildhauerei auseinandergesetzt. Seit 2011 arbeite ich in Beton. Natürlich auch nach meinem Wechsel zur HfK Bremen. 

Was sind die Eigenschaften, die Möglichkeiten und Grenzen von Beton, die dich interessieren?

Die Ausdrucksmöglichkeiten sind größer als mit anderen Guss-Werkstoffen. Ich zeige auch in der Ausstellung den starken Kontrast von Bunkern gleichendem, brutal archaisch aussehendem und wie Glas schimmerndem Beton. 

Du zeigst hier eine Säule mit ebenmäßig spiegelnder Oberfläche.

Das ist Beton, das pure Material, nichts lackiert. Ich habe nur die Zutaten zusammengemixt, die ich auch auf dem Bau für Beton genommen habe, allerdings mit der Menge an Wasser und der Verschalung experimentiert. Deren Oberfläche bestimmt ja die Oberfläche des Betons. Sie wird so super glatt, wenn man nicht Holz, sondern Plexiglas oder PVC nimmt. 

Erstellst du ein Betonrezeptbuch für diverse Wirkungen?

Ich besitze ein Archiv von Erfahrungen, wie welches Ergebnis zu erzeugen ist. Aber notiert habe ich das nie.

Mit Ton arbeitende Künstler:innen beschwärmen das Formen ihres Materials als Denken mit ihm. Geht das auch mit dem anfangs noch cremigen Beton?

Man kann so arbeiten, also den Beton kneten, formen und zusammenzufügen. Es gibt auch Mittel, die bei dem Prozess helfen, also den Beton steifer, zäher machen und nicht so schnell aushärten lassen, damit man länger damit arbeiten kann. So wie ich allerdings Beton verwende, ist er nach einer Stunde so trocken, dass sich da nichts mehr bewegen lässt. Wenn ich ihn in meine Formen gieße, kann ich die nach zwei Stunden entfernen, dann ist alles erhärtet. 

Zurück zu deinen Säulen: Die Form braucht ja auch eine Idee. Du kreierst keine idealisierten Nachbildungen der griechischen Vorbilder, sondern verwendest als Abgussformen nur Material aus dem Baumarkt. Blumentöpfe als Kapitell, Regenrinnen und Fallrohre als Schaft … veralberst du die Antike?

Ich mache mich lustig darüber, wie Antike benutzt wird, um sich selbst irgendwie aufzublähen. Als Statussymbol stellen sich Menschen heutzutage ein paar Säulen vor die Haustür oder Ziersäulen in den Garten und Vogelbecken obendrauf. Das ist Kitsch! Der ist halt von der Antike übriggeblieben. Selbst der Rückblick auf die Antike ist ja total verkitscht. Heute weiß man, dass die edel-weißen Marmorfiguren nicht schönen Ernst ausstrahlten, sondern gauklerisch albern bunt angeschmiert waren. So wie Jahrmarktdekoration. Das würden wir heute als Kunst total eklig finden. Aber das fasziniert mich an der Antike, dass sie einerseits missverstanden ist ...

… und zweitens auch nichts Hehres hat?

Doch, voll, ich verstehe sie auch falsch und romantisiere sie, aber wenn ich dort hinreisen könnte, wäre ich sicherlich total enttäuscht, weil es bestimmt eine ziemlich alberne, bescheuerte Zeit gewesen war. Voller Entbehrungen, Schmerz, Leid, Krieg, ohne das Heroische wie in den Film- und Literaturdarstellungen – ich denke da an ein Adorno-Zitat, sinngemäß lautet es: Je größer die Säulen, verstanden als Machtsymbol, vorm Haus sind, desto schlimmer wird im Keller gefoltert. Deswegen zeige ich keine schönen geraden Säulen, sondern schiefe Dinger. 

Einige Säulen der Ausstellung liegen seit der Vernissage zum Abtransport bereit: Du reißt die Antike ab?

Vielleicht sind das ja auch antikisierende Dekoobjekte zum Kaufen. Aber du hast recht, der Abriss der Antike geschah nicht im Mittelalter, wo sie als Steinbruch genutzt wurde, sondern sie ist heute ein geistiger Steinbruch, aus dem wir uns Sachen rauspicken, die wir dann zu blöden Netflix-Dramen verarbeiten. 

Wir könnten uns aber auch mit Grundsätzlichem aus der Zeit beschäftigen, beispielsweise nochmal eine Auseinandersetzung mit dem Werk Platons starten …

… andere kleben Sticker mit dem Porträt Platons auf ihr Auto, das gehört ja auch zum Abriss der Antike, zu ihrer Entleerung und Banalisierung. Dabei sind Philosophie und Demokratie ja ihre größten Errungenschaften gewesen und heute Themen, mit denen wir ganz schön zu knapsen haben, wir hadern ja mit der Demokratie und Philosophen sehe ich fast gar keine mehr. 

Du bist ein Künstler des Zerfalls …

… und der Frage, was folgt eigentlich, wenn wir so weitermachen mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Eigentlich ist der totale Zusammenbruch unserer Lebensart erwartbar, ich habe das Gefühl, von manchen Menschen wird er sogar herbeigesehnt. Nur dieses Chaos bringe das Feuer, das wir brauchen, etwas Neues aufzubauen – das habe ich im Internet so zum Beispiel bei den „neuen (alten) Rechten“ gelesen. Weil sie sich stark fühlen, erwarten sie nach dem Zusammenbruch als Warlords emporsteigen. Ich sehe das aber auch bei den extremen Linken, die den totalen Zusammenbruch als Voraussetzung brauchen, um gerechtere Formen des Zusammenlebens zu etablieren. Und dann erkenne ich halt die Leute in der Mitte, die versuchen, ihren eigenen Arsch zu retten und den Status quo zu erhalten. 

Was ist deine Haltung?

Die suche ich noch. Ich beobachte, verorte mich aber wohl eher ambivalent irgendwo zwischen allem.

Deine Arbeiten beinhalten also keine politischen Aussagen oder soziologische Thesen, sondern sind Spiegel deiner Wahrnehmung unserer Gesellschaft?

Ja, genau. Manchmal.

In Medienberichten heißt es, deine Arbeiten seien brachial, roh, kämen grobschlächtig daher. Keine feine Kunst also. Findest du das abwertend?

Ich hadere ja selbst mit der Kunst. Ich mache Kunst, die sich dagegen sperrt, Kunst zu sein. Sie ist eher so ein Ätschibätsch, das nerven will im Sinne von: Ich bin voll ugly und habe keine richtige Form, ich gebe dir keine Ästhetik, die du genießen kannst, ich bin eigentlich ein Schrottobjekt.

Aber das ist doch auch eine künstlerische Form, um etwas zu kommunizieren.

Ja, total. Ich will schon, dass Kunst entsteht, ich wehre mich nur gegen die erwartbaren Methoden, wie Kunst zu entstehen hat. Harmonielehre, der Goldene Schnitt usw. Solche Regelwerke halte ich einfach nicht ein, was jetzt aber nicht die Aussage meiner Arbeiten ist, sondern nur Teil des Prozesses.

Wie bei dem Abguss einer liegenden Frau, die du auf einer Palette mit Trockenbetonsäcken präsentierst – als Spiel von Schönheit und Irritation mit farblich vielfältig changierenden, in der Stofflichkeit höchst unterschiedlichem Beton.

Wer genau hinschaut, sieht sogar die echte Gänsehaut der Frau, ich würde es mit Beton hinkriegen, den Körper so naturgetreu abzubilden und abzuformen, dass selbst die Poren der Haut noch zu sehen sind. Aber ich habe mich eben entschieden, das nicht zu machen, also die Mischungsverhältnisse des Betons variiert und auch Beton mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum genutzt. Wenn ich diese verschiedenen Betonmixturen abwechselnd in die Form gieße, entstehen sehr unterschiedlich strukturierte Volumina und Oberflächen. Ich habe auch Nuten stehen lassen, damit der Guss uneinheitlich aussieht, sowie auf Kopf und Fuß verzichtet, damit die Stahlkonstruktion der Skulptur rausgucken kann. 

Im Museum wirkt das gar nicht nur garstig unperfekt, sondern positiv, wie eine Ode an die vielfältigen Potenziale des Betons.

Vielleicht. Interessant. So habe ich das noch nicht betrachtet. Ich hatte bisher gedacht, es ist vielleicht sowas wie eine Servierempfehlung … (lacht)

Du hast auch dein Auto in Beton verewigt.

Ein Golf 4, ziemliche Scheißmühle mit recht schwachem Motor, aber langlebig. Ich hatte ihn zehn Jahre, dann sah er übel aus, rostig, voll mit Tribals und Stickern, ein Motorschaden gab ihm den Rest. Nur die Alufelgen, einen Seitenspiegel und das Radio habe ich rausgepflückt und noch den Gipsabdruck gemacht, dann gings in die Verschrottung. Front und Heck des Autos liegen nun betoniert in der Weserburg. Mit einem Augenzwinkern. Denn das sind halt so nichtssagend in den Wind gedrehte Formen, mit denen keiner was anfangen kann. Die sehen zum Verwechseln ähnlich aus wie minimalistische Kunst aus den 1960er/1970er-Jahren, ich fand das witzig, so was mal in einem Museum für moderne Kunst zu machen.

Aber es ist für dich auch ein Erinnerungsstück?

Ja, total nostalgisch. Das kommt bei mir häufig zusammen, die autobiografisch-emotionalen Momente, die ich mit den Sachen habe, und dann so ein Humor. Ich nenne die Autoteile ja Silberpfeil und Walküre. Silberpfeil ist so eine ironische Höherstufung, das sind ja eigentlich die Rennautos von Mercedes und nicht von VW.

Und Walküre verweist auf Richard Wagners „Ring des Nibelungen“?

Ja, eben auf Volkswagen, deutsche Identitätsvorstellungen und Kultur, der Golf ist ja der Nachfolger des Käfers, das Auto für die deutschen Nachkriegskrieger, die sich auf der Autobahn totfahren und dann von den Walküren nach Walhalla geführt werden. Das ist witzig gemeint, aber auch edgy.

Woher kommt dein Interesse an der nordischen und griechischen Sagenwelt? 

Ich bin im Dorf Bederkesa, Landkreis Cuxhaven, aufgewachsen, 1989 geboren, da waren der Schützenverein und die Böhsen Onkelz noch ein großes Thema …

… als die noch offiziell rechts waren?

Ich glaube schon. Mich aber faszinierte, dass um das Dorf herum überall Hünengräber waren, 30 oder 40 Stück, teilweise mit riesigen Megalithen aus der Steinzeit, so was wie Stonehenge, da habe ich als Kind drauf gespielt ...

… warst Teil der Mythologie – und hast dann deine Faszination von den harten Steinen zum extra harten Beton verlagert.

Aber ja.

Beton hat heute kein gutes Image mehr, es wirkt nicht mehr schick modern, sondern hässlich altmodisch. Kalt. Abweisend. Und natürlich ist er ein großer Umweltsünder. Wie gehst du damit um?

All das schwingt im Material mit. Es impliziert sein eigenes Ende. Denn der Sand, der Muschelkalk, den man dafür braucht, geht uns aus, so wird es Beton zwangsläufig irgendwann nicht mehr geben. Und eine meiner Fragen ist ja, was bleibt von uns übrig, von unserer Ära, wenn wir mal nicht mehr sind. Was ist mit all den Betonruinen, die dann überall rumliegen und verrotten. So gibt es in meiner Ausstellung ja auch nur Ruinen zu sehen. Mein kaputtes Auto, demolierte Säulen, eine poröse Mauer und die Frauenfigur, die an Hohlraum-Ausgüsse der Toten des Vesuvausbruchs in Pompeji erinnert. Es geht um Zerfall und die Idee: Für wen sind wir die Antike in der Zukunft? In 1.000 Jahren werden wir vielleicht von Archäologen ausgegraben und die gucken sich unsere Betonbrücken an und fragen sich, was sind das denn für Absurditäten. 

Aber das Bewusstsein, bei der Betonherstellung wird sehr, sehr viel klimaschädliches CO2 freigesetzt, hindert dich nicht daran, genau das zu tun?

Ja, das ist inkonsequent, aber es sind ja so kleine Mengen …

… das sage ich auch immer, wenn ich mal Auto fahre oder eine Plastiktüte nutze …

… ja, tatsächlich müsste ich damit aufhören.

Du hast ausführlich Kunst studiert, warst Meisterschüler von Ingo Vetter, HfK-Professor für Bildhauerei im Studiengang Freie Kunst, hast den Hollweg-Preis gewonnen, nun eine Einzelausstellung in einem renommierten Museum – war das also eine nachhaltige Ausbildung, um erfolgreich ins freiberufliche Kunstleben durchzustarten?

Ich habe keine Referenz, an der ich überprüfen kann, ob das funktioniert. Die meisten Kommilitonen machen keine Kunst mehr. Ich gehe davon aus, zukünftig drei, vier Tage die Woche arbeiten zu gehen, um mir das Kunstmachen leisten zu können. Derzeit versuche ich natürlich an weiteren Wettbewerben teilzunehmen. Es gibt auch Planungen für weitere Ausstellungen.

Viele Kunsthochschulabsolvent:innen geben sich ja eine Zeitspane, versuchen sich ein, zwei Jahre irgendwie zu finanzieren – und wenn sie es dann nicht geschafft haben, von ihrer Kunst leben zu können, dann gehen sie eben in ein Grafik-Design-Büro und gestalten Werbeprospekte, Imagebroschüren, Flyer, Reels …

Also wenn ich aus Versehen Vater werden sollte, dann schmeiße ich den Kunstkram hin, wenn das nicht läuft, und suche mir einen Job, dann hätte ich halt eine andere Motivation, müsste mich um mehr Dinge kümmern als mich selber.

Hast du ein zweites Standbein?

Ich helfe manchmal beim Auf- und Abbau von Ausstellungen, das bringt ein bisschen Geld, habe auch ein paar Rücklagen. Meine Familie unterstützt mich auch. Das Hollweg-Preisgeld, 15.000 Euro, ist allerdings aufgezehrt, auch weil ich mir davon Werkzeuge und einen Hubwagen geleistet habe, was man halt braucht, wenn man nicht mehr an der HfK ist und die Werkstätten dort nutzen kann. 

Und Käufer deiner Kunst? Kommen welche und sagen, gieß mir bitte mal meinen Freund oder meine Sneaker in Beton?

Ist mir noch nie passiert. Aber es gab hier im Museum Anfragen, ob die Liegende zu verkaufen sei. 

Und?

Es kommt darauf an, weil das halt meine Lieblingsarbeit in der Ausstellung ist, die ich immer wieder gern angucke, weil da alles von dem geklappt hat, was ich erreichen wollte. Also entweder muss der Preis so sein, dass ich mich davon trennen kann, oder eine Institution kauft und ich weiß, dort kann ich mir die Arbeit immer mal wieder angucken.

Was rufst du für die Arbeit auf?

Das kann ich nur mit den Interessenten besprechen. Der Versicherungswert liegt jedenfalls bei 9.000 Euro, errechnet aus Material- und Transportkosten sowie Arbeitszeit. Aber dafür würde ich nicht an eine Privatperson verkaufen. Und die arme Marie, mein Modell, das dafür sechs Stunden liegen und stillhalten musste, würde mir das Geld auch um die Ohren hauen und sagen: Für so wenig hast du mich verkauft!

Du hast deine Ausstellungsstücke ja im Museum mit Betonmischer, Beton, Siebdruckplatten, Gipsformen usw. gefertigt. Was passiert damit nach der Finissage?

Die Betonmauer entsorge ich, kleinhauen und weg, alles andere packe ich in Kisten mit Rädern und nehme sie mit in mein Lager. Das ist in der alten Weser-Kurier-Druckerei in Woltmershausen, da habe ich 100 Quadratmeter Fläche, die Hälfte ist jetzt schon mit Krams von mir zugestellt, wenn die aktuellen Arbeiten dazukommen, wird es langsam eng.

Im Ausstellungstitel „Hyper!ons Epiphysis“ steckt die ganze Ausstellung drin, hast du gesagt. Was hat sie mit Hyperion zu tun, dem Titan des Lichts?

Eigentlich nichts. Aber da ist das Wort hyper drin, und hyper meint hyperhyper.

Das ist ein grauenhafter Song von Scooter …

… der aber gerade für viele ein Kultsong ist, aus der Rückschau auf ihre Raver-Vergangenheit.

Und Epiphysis?

Epiphyse ist die Hirnanhangdrüse, sie regelt den Schlaf-Wach-Rhythmus der Menschen, den ja die Nachtclubkultur durcheinanderbringt, die in der Ausstellung ja auch präsent ist – mit Videoschnipseln aus einem namhaften Berliner Technoclub und einem längeren Musikvideo.

Darin bewegt sich eine junge Frau mitten im Wald vor zwei von dir 1:1 aus Beton nachgegossen Boxentürmen des namhaften Berliner Technoclubs wie in Zeitlupe, irgendwie Modern-Dance-verwirrt, dazu läuft Techno.

Ich wollte ein MTV-Video drehen, das aber natürlich auch gleich wieder brechen, in diesem Fall durch die Choreografie. Dazu fragte ich die Tänzerin, ob sie Ballett tanzen könnte, als wäre es Techno. Wir haben das möglich gemacht, indem sie während des Drehs so Singer-Songwritermusik mit etwa 80 BPM hörte, im Video-Soundtrack aber ist nun Techno mit 130 BPM zu hören.

Eine reizvolle Inkohärenz zwischen Bewegung und Klang. Wie ist deine Beziehung zur Techno-, Partykultur?

Ich liebe sie, das ist Anti-Beton, da lebt alles, da bewegen und schwitzen alle. Und dann findet das immer wieder in so Betongebäuden statt, in ehemaligen Industriehallen, in Bunkern, wo die Tanzenden die Überwindung der Vergangenheit feiern. Sie hüpfen an den Orten, wo Menschen früher um ihr Leben gebangt haben, als die Bomben gefallen sind. Ich sehe das als Zeichen von Hoffnung, dass wir diese Bunker nie wieder brauchen …

… eine Hoffnung, die ja nun gerade stark in Frage gestellt ist, weil Russland den Krieg zurück nach Europa gebracht hat.

Ja, gruselig.

Warst und bist du einer dieser Partygänger in den Betontempeln?

Ja. 

Warum?

Wenn man sich einlässt auf die Wiederholung der immergleichen Beats, die Loops, da kommt man in Trance, in der man sich selbst vergessen kann. Ein Zustand, in dem ich nicht mehr darüber nachdenke, wer ich bin, woher ich komme, wie alt ich bin, was ich gerade für Probleme habe. Dieses Abschalten ist wie eine Meditation. 

Ist das nicht auch ein Zeichen für die Dekadenz unserer Zeit?

Auf jeden Fall. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass der Mensch nicht ohne Feier, Rausch, Tanz zufrieden leben kann, den Ausbruch braucht.

Party muss also sein?

Party bis zum Untergang!

Danke dir für das Gespräch.