Was machen eigentlich: Erwan Tacher und Tim Voss
Kuratoren Open-Space-ProgrammIn unserer Rubrik „Was macht eigentlich…?“ erzählen Hochschulangehörige von und über ihre Arbeit.
Das Open-Space-Programm der HfK wird für den Fachbereich Musik von Erwan Tacher und für den Fachbereich Kunst und Design von Tim Voss betreut. Über diese Arbeit und die Bedeutung des Veranstaltungsreigens für die Hochschule und die Innenstadtentwicklung sprachen wir mit den beiden Kuratoren.
Ist Open Space derzeit ein Vollzeit-Job?
Erwan Tacher: Das ist sehr intensiv, dafür investiere ich deutlich mehr als die Hälfte meiner Arbeitszeit pro Woche.
Tim Voss: Ein totaler Vollzeitjob, ja.
Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht das Open-Space-Programm kuratieren?
Erwan Tacher: Ich studiere noch an der HfK – im 4. und letzten Master-Semester für Gesang und Pädagogik. Ich bin Sänger, Stimmlage Bariton. Als Kinde habe ich auch Klavier, später Gitarre gelernt und vor der Pandemie mein ganzes Geld damit verdient, Konzerte mit französischen Chansons zu geben und Chöre zu leiten. Ich komme aus Paris und habe bretonische Wurzeln. In der Coronazeit merkte ich, zukünftig gern Gesang unterrichten, Chöre anleiten und nur noch nebenher auftreten zu wollen. Derzeit leite ich den Deutsch-Französischen Chor in Bremen, einen Frauenchor in Grolland und einen Chor Verden.
Tim Voss: Ich komme zwar aus Bremen, habe aber visuelle Kommunikation an der Hochschule der bildenden Künste Hamburg studiert, war Filmemacher, dann wurde mein erstes Kind geboren, ich musste Geld verdienen und professionalisierte mich als Kurator. Ich verstehe das als eine künstlerische, also gestalterische Arbeit. So baute ich die Galerie der Hochschule mit auf, wurde dann eine vom Arbeitsamt finanzierte Ich-AG, die vom Kunstverein Harburger Bahnhof engagiert wurde, um möglichst kostenfrei junge Kunst zu präsentieren. Ich war sehr erfolgreich in der Akquise, kam finanziell irgendwie über die Runden und wechselte dann nach vier Jahren an den Artspace W139 nach Amsterdam. Mit Familie, Sack und Pack. So ging das Matrosenleben weiter. Ich leitete anschließend die Künstlerhäuser Worpswede und ab 2017 das Künstlerhaus Wien. Aber die Interessenslage wurde mir dort zu unüberschaubar in den Gremien der 450 Mitglieder, nur Künstler. Ich kündigte und war mit Beginn der Pandemie arbeitslos. Da kam das Open-Space-Angebot gerade richtig. Was für eine Erleichterung, sich nun um ein Festival zu kümmern, das aufploppt und nach drei Monaten wieder verschwindet, im Gegensatz zu einem 150 Jahre alten Institutionstanker wie dem Wiener Künstlerhaus. Wenn ich nicht arbeite, bin ich mit meinem kleinen Sohn zusammen oder bei meinem schon großen Sohn, die beide noch in Amsterdam leben.
Was reizt Sie persönlich am Open Space?
Erwan Tacher: Es ist ein Projekt, das Menschen verbindet – also das Bremer Publikum, das so lange keine Live-Musik erfahren hat, und Musikstudierende, die so lange nicht in der Öffentlichkeit auftreten durften.
Tim Voss: In Wien hatte ich mit Künstlern zu tun, die alle so um die 60, 70 Jahre alt sind und manchmal gefühlt ausschließlich Nabelschau betrieben. Das wurde klaustrophobisch für mich. Daher genieße ich es gerade sehr, dass Studierende mir neue Diskurse, neue Formen und Inhalte, neue Sichtweisen zutragen. Dabei fühle ich mich zwar älter denn je (lacht), habe aber so viel Input bekommen wie lange nicht. Künstlerisch ist das ein Jungbrunnen. Und das versuche ich auch dem Publikum zu vermitteln. Denn Open Space ist ein Projekt im öffentlichen Raum mit der Chance, neue Besuchergruppen für junge Kunst zu interessieren.
Was animiert Studierende, bei Open Space mitzumachen?
Erwan Tacher: Ein Auftritt zentral in der Innenstadt zu haben, endlich wieder Bremer live erfreuen zu dürfen und dabei noch eine kleine Aufwandentschädigung zu kassieren.
Tim Voss: Endlich wieder eigene Arbeiten auszustellen und zu kommunizieren, endlich auch wieder miteinander zu arbeiten, sich auszutauschen und hoffentlich ein bisschen feiern zu dürfen. Viele Studierende kennen ihre Mitstudierenden bisher ja nur online.
Das Open-Space-Programm der HfK soll ja ein Schaulaufen ihrer vielfältigen Aktivitäten sein und die Hochschule repräsentieren, nach welchen Kriterien werden daher die Beiträge ausgewählt?
Erwan Tacher: Zwischen den Angeboten aus den Abteilungen Jazz, Klassik, Alte und Neue Musik, Instrumentalmusik und Gesang soll ein Gleichgewicht herrschen.
Tim Voss: Mir ging es um die Verbindungen der Studierenden untereinander – von Kollektivität bis Kollaboration. Und so haben wir einen Open Call auch formuliert. Ich habe dann, bis auf ein oder zwei, alle eingereichten Projekte angenommen und noch zahlreiche Projekte nachträglich dazu geholt.
Wie viele Studierende machen mit bei Open Space?
Erwan Tacher: Insgesamt rund 70 Musik-Studierende werden 15 Konzerte für die HfK gestalten. Nachfrage und Angebot von Auftrittsmöglichkeiten halten sich in etwa die Waage.
Tim Voss: Über 100 Studierende sind dabei. Zahlreiche Präsentationen an den Außenflächen der Gerüstskulptur und insgesamt 13 Ausstellungen zeigen wir, jede Woche eine andere.
Spiegelt sich die Interdisziplinarität der HfK im Programm, kommen Kunst, Design und Musik zusammen?
Erwan Tacher: Man muss sie erstmal nebeneinander existieren lassen und schauen, was daraus wird. Bei der Eröffnung aber wird bereits während der Konzerte live neben der Bühne gezeichnet.
Tim Voss: Design, Kunst und digitale Medien tauschen sich bereits sehr gut untereinander aus. Da wird viel studienfachübergreifend gearbeitet, da kennt man einander. Kompliziert ist der Austausch zwischen den Fachbereichen Musik mit Kunst und Design. Man weiß wenig voneinander und lebt in völlig unterschiedlichen Welten. Kunst und Design will sich in alle gesellschaftlichen Bereiche verbinden, zeitgenössisch sein, die Alte Musik beispielsweise entweltlicht eher ihre Kunst. Das sehe ich aber voller Respekt, wie die an Diskurse der Vergangenheit anknüpfen und manchmal eine Existenz im Elfenbeinturm pflegen.
Welches HfK-Image vermittelt die Veranstaltungsfolge?
Erwan Tacher: Zumindest die Konzertfolge zeigt die HfK-Ausbildung in ihrer Breite, zeigt Qualität und Kreativität.
Tim Voss: Die Vielfalt der Ausdrücke, die Diversität der Kunststudierenden und ihre Energie vermitteln sich unmittelbar und das werden wir für ein Publikum vermittelnd unterstützen. Natürlich auch die Arroganz, gar nicht gefallen zu wollen. Ich finde es besonders schön, dass an der HfK nicht Opportunismus gelehrt wird, also gesellschaftliche Anwendung, ökonomische Verwertung, ästhetische Anpassung von Kunst und Design. Open Space zeigt, an der HfK lernt man frei zu sein. Die Studierenden mischen sich damit in gesellschaftliche Kontexte ein. Auch das soll Open Space zeigen.
Was fehlt im Angebot?
Erwan Tacher: Wir haben noch viel Potenzial, dass etwas zwischen den Fachbereichen was passiert.
Tim Voss: Mir fiel es schwer, performative Formate im Fachbereich Kunst und Design zu finden, die fehlen. Dabei haben sich die Diskurse von Theater, Tanz, Performance und bildender Kunst deutlich angenähert. Wie man miteinander spricht, ist eigentlich identisch. Nur die Produktionsbedingungen unterscheiden sich.
Beim HfK-Programm für den Open Space handelt sich ja nicht um voraussetzungslos zu genießenden Stadtfest-Mainstream, daher braucht es Vermittlungsarbeit, oder?
Erwan Tacher: Da macht das Presseteam des Projekts eine sehr gute Arbeit. Durch die Webseite, Flyer, Plakate und Zeitschrift wird das Bremer Publikum über die Inhalte gut informiert. Außerdem spielen die Studierenden ja nicht nur, die moderieren auch ihre Musik. Eigentlich muss man nur dort sein und zeigen, was man macht. Ich glaube nicht daran, dass man viel erklären muss, was für ein Instrument man da warum spielt. Einfach machen. Das reicht.
Tim Voss: Davon kann man ausgehen und das haben die neugierigen Reaktionen während des Aufbaus auch gezeigt. Die Künstler selbst machen ja bei uns Aufsicht in den Ausstellungen, sie sollen die mal zufällig hineinschauenden Menschen abholen, mit ihnen in Kontakt treten und die Kunst vermitteln, die ja nicht immer selbstredend ist. Die Begegnung mit Menschen, die sonst mit Kunst nichts am Hut haben, wird ganz erfrischend sein. Das ist ja auch für viele immer eine tolle Sache, mit dem Künstler eines Objektes da im Raum sprechen zu können. Darum geht es bei Open Space.
Auf dem riesigen, historischen Domshofplatz regiert eine mächtige Architektur, das Wochenmarktgeschehen und eine Atmosphäre des Vorüberflanierens der Paare, Passanten und Stadtbummelanten. Wie kann sich Kunst dagegen behaupten?
Erwan Tacher: Wir spielen nicht gegen, sondern mit den Voraussetzungen. Wir passen uns an und schenken dem Publikum sogar Pop-Stücke, also etwas unterhaltsamere Programme, als wenn wir in einem Konzertsaal spielen würden und mehr Aufmerksamkeit von den Zuhörern hätten. Das ist ein Zeichen an das Publikum: Kommen sie mit.
Tim Voss: Indem junge Studierende einfach ihre Verspleentheit ausleben, es müssen ja keine Kompromisse gemacht werden, so erobert die Kunst den Ort und vielleicht auch die Menschen und so verbindet sich Open Space mit dem Markt umzu. Die Studierenden interessieren sich dabei weniger für die Repräsentanz der umgebenen Gebäude, als zum Beispiel für den Spuckstein, der an die Hinrichtung Gesche Gottfrieds erinnert.
Was sagen Sie Menschen, die denken, ach, das sind ja nur Studierende, noch gar keine professionellen Künstler, sondern Auszubildende, die können ja noch gar nicht gut sein, die bieten ja nur nachsichtig zu begutachtende Beiträge, das ist ja nicht reizvoll für erfahrene, anspruchsvolle Kulturrezipienten?
Erwan Tacher: Die Studierenden sind so gut, da muss man nicht zweifeln.
Tim Voss: Natürlich kann man sich Kunst und Design im Museum anschauen, alte Meister studieren, aber es ist doch toll, wenn man junge Designstudierende erlebt, die erste Ideen haben. Man versteht doch viel besser, was sich kanonisiert, durchgesetzt hat, wenn man die Multitude der Möglichkeiten sieht.
Was hat uns die Kunst und die Live-Musik zu sagen, wenn sie jetzt nach anderthalbjährigem Schmoren im Lockdown wieder an die Öffentlichkeit tritt?
Erwan Tacher: Man wird merken, was für ein riesiger Unterschied das ist, physisch anwesend bei einem Konzert zu sein oder CD-Aufnahmen oder online etwas zu hören. Von diesem Live-Zauber haben wir zu erzählen.
Tim Voss: Die HfK verbindet sich mit den kulturellen Akteuren in Bremen und erweckt uns aus der Tiefschlafphase, die die Pandemie für uns bedeutete. Das ist die Botschaft.
Inwieweit können Kunst und Musik etwas zur Entwicklung der Shopping-City vom leerlaufenden Konsumzentrum zur urbanen, divers lebendigen Stadtmitte beitragen?
Erwan Tacher: Der Domshof ohne Open Space ist zu leer, die rein kommerzielle Nutzung traurig, dagegen veranstalteten wir mit Open Space dort bereits Konzerte mit bis zu 400 Besuchern. Wir machen die Innenstadt lebendig, holen Menschen hierher, bringen sie dazu stehenzubleiben, sich zu unterhalten, der Erlebniswert der Innenstadt ist mit uns viel größer.
Tim Voss: Die Innenstadt wirkt ja an vielen Orten verwaist. Und es ist ja kein Zufall, dass Open Space nicht mit Geld der Kulturbehörde, sondern mit Wirtschaftshilfe finanziert wird, es geht um die Reaktivierung der Innenstadt.
Kunst und Musik sollen als Dienstleister der Geschäfte die Aufenthaltsqualität für die City-Besucher und ihre Aufenthaltsdauer erhöhen sowie dem öden Domshof über den Sommer helfen? Dann ist alles wieder vorbei? Oder ist das der Anfang für etwas Nachhaltiges?
Erwan Tacher: Die Open-Air-Veranstaltung ist nachhaltig, weil sie ja nun schon zum dritten Mal stattfindet, auch 2022 stattfinden wird und sich gut und nachhaltig entwickelt hat, weil wir uns mit der Bremer Szene vernetzen, in diesem Jahr unter anderem mit der Shakespeare Company, Breminale, Globale, Langen Nacht der Musik und dem Domchor. Wir lassen auch Pop-Cover-, Rock- und Latin-Bands auftreten. Da kommen ja viel mehr Anfragen von Bremer Künstlern als wir derzeit Termine haben. Das ist also ausbaufähig. Wir hoffen nun mit nationalen und internationalen Kooperationen bald ein noch reicheres und prominenteres Angebot realisieren zu können für ein auch überregionales Publikum. Man könnte Open Space auch noch nachhaltiger gestalten, wenn wir nicht nur ein Budget für den Sommer bekommen würden, sondern auch im Herbst und Winter verschiedene Orte, etwa leerstehende Geschäfte, kontinuierlich bespielen dürften.
Tim Voss: Nachhaltigkeit im schönsten Sinne wäre ja, dass man merkt, dass Handel, Wohnen, Gastronomie und Kultur in der Stadtentwicklung nicht ghettoisiert werden sollen, sondern eine entsprechende Mischnutzung der Innenstadt die Zukunft wäre. Der einst dort allein regierende Handel scheut die Mischnutzung aber wie der Teufel das Weihwasser. Denn nur mit Kommerz, nicht mit Kunst sind höchste Renditen bei den Vermietungen zu erzielen. Um das zu ändern, müsste die Stadt die Kultur hochsubventionieren. Nachhaltig wäre daher an Open Space, wenn sich die Frage aufdrängt, warum muss man eigentlich so eine riesige Gerüststruktur für all die Kunst bauen, warum haben wir in der City nicht auf Dauer einige Orte dafür?
In Paris wird das gerade richtig erfolgreich als politische Planwirtschaft realisiert: Semaest. Ganze Straßenzüge im 11. Arrondissement werden mit viel Geld wieder in Mischnutzung gebracht, Buchhandlungen beispielsweise angesiedelt und ihnen die Miete subventioniert, der Handel muss vielfältig aufgestellt, Wohnen bezahlbar, Kultur und Gastronomie mit einbezogen sein. Es gibt dazu eigentlich auch in Bremen keine Alternative. Politik muss die Vermieter zwingen, Läden der Kultur zumindest zur Zwischennutzung zu überlassen, sonst passiert da nichts. Das haben wir erfahren, als wir leere Ladenfenster als Ausstellungsräume buchen wollten und nirgendwo in der Innenstadt die Erlaubnis erhielten. Da regiert die Broken-windows-Theorie. Die besagt, wenn ein Fenster kaputt ist in der Nachbarschaft, drohe die Verwahrlosung und schon sinke das Mietniveau für alle Objekte im ganzen Bezirk. Kunst ist für die Renditeaussicht der Immobilienbesitzer offenbar angsteinflößend wie ein zerbrochenes Fenster.